Job, Kinder, Partnerschaft, Haushalt … Das Leben von vielen Menschen gleicht heute einem Leistungssport. Aktuelle Studien zeigen: Viele – sogar schon Grundschüler – fühlen sich erschöpft und überfordert. Gibt es eine Möglichkeit, um aus dem Hamsterrad herauszukommen? Was kann man effektiv für sich tun?
Burnout ist mittlerweile eine Volkskrankheit. Warum sind wir alle so erschöpft?
Burnout ist keine (Volks-)Krankheit. Man spricht von einem Syndrom und zwar genau dann, wenn man keine genaue medizinische Diagnose (Depression, Panikattacke, Neurasthenie) stellen kann. Betroffene klagen vor allem über emotionale Erschöpfung, innere Anspannung, Antriebslosigkeit und einen gefühlten Energiemangel.
Angesprochen auf ihre Arbeit reagieren Betroffene oft zynisch, distanziert und oft auch gleichgültig. Der Fachbegriff lautet Depersonalisierung – die Betroffenen konzentrieren sich meist nur noch auf die sachlichen Aspekte ihrer Aufgaben. Zudem fühlen sich Menschen, die über ein Ausgebrannt-Sein klagen, häufig erfolg- und wirkungslos. Sie werten sich selbst ab und beurteilen ihre eigene Leistungsfähigkeit als ungenügend. Betroffene glauben über keine (oder zu wenige) Ressourcen zu verfügen und fühlen sich vom Leben oder der Arbeit überfordert.
Ob wir alle erschöpft oder ausgebrannt sind, kann ich nicht beurteilen. Viele Menschen sind es oder sprechen davon, es zu sein. Manche kommen mit ihrem Leben auch gut zurecht. Warum viele über Burnout klagen oder davon betroffen sind, dazu gibt es verschiedene Theorien. Eine Hauptannahme ist, dass Betroffene im Umgang mit Stress und Druck Schwierigkeiten haben. Eine andere Theorie besagt, dass Burnout vor allem diejenigen trifft, die anderen (oder sich selbst) etwas beweisen wollen und sich dafür manchmal regelrecht ‚aufopfern‘. Wahrscheinlich ist, dass es meist eine ‚giftige‘ Mischung aus Umständen, Dingen und Menschen ist, die dazu beitragen kann, dass Menschen ausbrennen.
Die Ursache für Burnout und Erschöpfung liegt meiner Meinung nach im grüblerischen, perfektionistischen und vor allem externalisierenden Denken über diese Umstände, Dinge und Menschen. Sich selbst nichts zuzutrauen, seine eigenen Stärken schlecht zu reden, von sich Unmögliches zu erwarten, die eigene Vergangenheit zu bejammern und sich vor der Zukunft zu fürchten – das meine ich mit grüblerischem Denken. Unter Externalisieren verstehe ich, dass Betroffene häufig dazu neigen, die Gründe für ihre Krise den Kollegen, Chefs und Lebenspartnern zuschreiben und zu behaupten, diesen Kräften ohnmächtig ausgeliefert zu sein.
Manchmal ist diese „mentale“ Erschöpfung auch mit einer körperlichen Erschöpfung kombiniert. Viele Menschen bewegen sich zu wenig, trainieren ihre Körper nicht und sind über die Jahre körperlich unfit geworden. Wenn diese körperliche Kraft- und Saftlosigkeit auf schwierige Umstände, Menschen und Situationen trifft, hat der Betroffene zwei Krisen zu bewältigen: eine körperliche und eine geistig-emotionale.
Menschen mit Doppel- oder Mehrfachbelastung leiden heute häufig unter Erschöpfungssymptomen. Kinder, Job, Partnerschaft, Haushalt, Pflege von Angehörigen und Schulden bei der Bank – das Leben ist heute sehr anspruchsvoll. Wie schafft man es, erst gar nicht ans Limit zu geraten?
Das körperliche Limit hängt von mehreren Faktoren ab: vom Alter der Personen, von ihrem körperlichen Gesundheitszustand, von ihrer Fitness (Sauerstoffaufnahmefähigkeit) und Kondition (Kraft und Ausdauer seien hier vor allem genannt).
Je jünger, gesünder und belastbarer ein Mensch ist, desto mehr Stress und Druck kann er logischerweise aushalten. Heute bekommen beispielsweise Frauen ihre Kinder spät im Leben. Aber 40-jährige Frauen sind nicht mehr so fit und belastbar wie 20-jährige – das bedeutet, dass ältere Frauen schneller an ihre körperlichen Grenzen kommen und sich bei der objektiv gleichen Belastung, schneller überfordert fühlen. Daher ist es ratsam, die körperliche Fitness und Kondition lebenslang zu trainieren und darauf zu achten, dass man ausdauernd und belastbar bleibt.
Das Leben ist aus meiner Sicht ein ultralanger Marathon, der aus unterschiedlichen Phasen besteht. Körperliche Gesundheit und Belastbarkeit können gar nicht hoch genug sein, damit man nie ‚ans Limit gerät‘ (übrigens halte ich es für eine unerfüllbare Forderung, nie an sein Limit kommen zu ‚dürfen‘). Zudem sind Pausen und Erholungsphasen im Voraus einzuplanen, damit man sich regenerieren kann.
Das geistige Limit hängt vor allem vom Wissen jedes Einzelnen ab, wie man mit Stress und Druck, unerfüllten Träumen und überzogenen Erwartungen, problematischen Situationen und schwierigen Menschen umgehen kann. In der Regel haben die Menschen kein ausreichendes Wissen, um in schwierigen Lebenssituationen emotional stabil zu bleiben.
Leider suchen wir Menschen erst Hilfe, wenn ‚der Karren bereits im Dreck steckt‘. Die Menschen glauben, dass in ihrem Leben alles in Ordnung ist, solange sie keine Probleme haben. Warum sollten sie also präventiv handeln, wenn sie keinen Druck verspüren? Daher denke ich nicht, dass man Menschen generell dazu bringen kann, sich so zu verhalten, dass sie nie an ihr Limit kommen. Menschen werden erst dann aktiv, wenn sie erkennen, dass sie an ihr Limit gekommen sind.
Kann man Entspannen und Abschalten lernen?
Ich denke, auch hier muss man differenzieren. Entspannen ist das Gegenteil von Anspannen. Und Abschalten das Gegenteil zu Anschalten. Den Körper zu entspannen und den Geist zu beruhigen, das kann man tatsächlich lernen. Im sportlichen Training lernt man den Körper anzuspannen und viele Trainer achten auch darauf, dass ihre Athleten es lernen, sich zu entspannen.
Im Yoga sind Anspannung und Entspannung untrennbar miteinander verbunden. Es ist ein idealer Ansatz: Der Übende muss sich in einem Augenblick maximal aktivieren und soll sich im nächsten sich bis in den Schlaf hinein entspannen. Beim Gehen, Joggen oder Rennen werden alle Teile des Körpers alternierend an- beziehungsweise entspannt. Dies führt dazu, dass auch das Gehirn alternierend aktiviert wird, was beim Übenden zur Beruhigung des Geistes und zu ‚echter‘ Müdigkeit im Körper führt. Diese ‚echte‘ Müdigkeit sorgt dafür, dass man gut und tief schläft und sich dadurch optimal erholt.
Entspannungstechniken (autogenes Training, Muskelrelaxation etc.) betrachte ich sehr kritisch, da die Übenden damit beginnen, aus der Realität zu flüchten und sich im Alltag danach sehnen, sich erneut zu entspannen. Lethargie und Antriebslosigkeit sind häufig die Folgen.
Den Geist oder den grüblerischen Gedankenstrom „abzuschalten“ halte ich für ein sehr schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen. Den Fernseher und das Wohnzimmerlicht kann man abschalten, ob man aber den Gedankenstrom abschalten kann, das bezweifle ich. Unser Gehirn ist keine Maschine, die man mit einem Aus-Knopf abschalten kann, sondern es erfüllt in einem Teil seiner neuronalen Netze unaufhörlich seine Aufgabe – es produziert Gedanken. Gleichzeitig betrachtet dasselbe Gehirn mit einem anderen Teil seine eigenen Gedanken und bewertet diese als ‚gut‘ oder ’schlecht‘, als ‚angenehm‘ oder ‚unangenehm‘. Und an dieser Stelle beginnt meiner Meinung nach das Übel. Was denke ich über meine eigenen Gedanken? Grüblerische Menschen nehmen ihre eigenen Gedanken furchtbar ernst. Sie sind gewissermaßen ’stolz‘ darauf, diese Gedanken hervorgebracht zu haben, und behaupten, dass sie deshalb auch wichtig und ernst zu nehmen sind. Sie betrachten die ’schlechten‘ Gedanken von allen Seiten, geben ihnen großes Gewicht und ‚hängen sich an ihnen auf‘.
Die interessanten Fragen müssten lauten: Ist dieser Gedanke wichtig? Ist dieser Gedanke richtig, nur weil ich ihn gedacht habe? Kann ich mich von meinen eigenen Gedanken etwas distanzieren und sie aus der ‚Ferne‘ beobachten? Kann ich meine eigenen Gedanken etwas gelassener, vielleicht etwas humorvoller betrachten? Aber anstatt sich solche konstruktiven, neugierigen Gedanken zu machen, beschließen manche Menschen lieber gar nichts mehr zu denken: sie betrinken und berauschen sich, „gucken fern“ und spielen Computer, trainieren stundenlang, konsumieren endlos, kaufen ein, essen süße und fettige Nahrung, nur um sich vom Schmerz des Lebens und der eigenen, ungesunden Gedanken abzulenken.
Die Frage nach dem ‚Abschalten‘ ist eine interessante und tiefgreifende Frage, die ich hier nicht vollständig beantworten kann. Diejenigen die es interessiert, können sich ja gerne melden!
Wie lernt man das? Wie arbeitest Du mit Ihren Klienten?
Im persönlichen Gespräch finden wir heraus warum eine Person leidet. Ich arbeite nach den Prinzipien der rational-emotiven und kognitiven Verhaltenstherapie. Dieser moderne psychologische Ansatz geht davon aus, dass Menschen ihr Leben und Erleben tatsächlich verändern können, in dem sie ihre Gedanken ändern.
In den vergangenen siebzig Jahren wurden weltweit hunderte Studien durchgeführt, die zeigen, dass diese Art der Therapie erfolgreicher ist, als alle anderen Ansätze. Da ich aber kein Therapeut bin, ist es mir verboten, mit kranken Menschen zu arbeiten. An mich wenden sich in der Regel diejenigen, die ein Problem haben, sich aber nicht krank fühlen. Im Coaching-Prozess wird falsches Wissen korrigiert und fehlendes Wissen geschult. Die Idee der rational-emotiven und kognitiven Verhaltenstherapie besteht darin, dass der Mensch, der die Ursache seiner emotionalen Probleme an der Wurzel erkennt (Kognition), eine Chance hat, sein Denken, Fühlen und Verhalten zu verändern.
Gibt es einen Tipp für eine kurze und effektive Entspannungsübung, die jeder in seinen Alltag einbauen kann.
Wie oben schon erwähnt, habe ich ein gespaltenes Verhältnis zu Entspannungsübungen. Wenn ich angespannt bin, dann sollte ich mich fragen, warum bin ich so verspannt? Werde ich von außen oder von mir selbst unter Stress, Druck und Spannung gesetzt? Sollten äußere Umstände oder Menschen mich stressen, hilft die Frage: Kann ich daran etwas ändern? Falls ja, dann sollte ich aktiv werden und mich nicht entspannen. Sollte ich die äußere Ursache durch meine Intervention dann beseitigt haben, dann entsteht die Entspannung als Folge meiner Aktion quasi als ‚Abfall‘ (im Wortsinn: vom Stress ‚abfallen‘) von alleine.
Sollte ich die äußeren Umstände oder das Verhalten anderer Menschen nicht beeinflussen können, sollte ich mich eventuell davon fernhalten, sollte auch das nicht möglich sein, ist es wahrscheinlich besser, an der Akzeptanz dieser unangenehmen Situationen zu arbeiten, als sich zu entspannen.
Sollte ich mich selbst unter Druck setzen, dann sollte ich mich fragen, welcher Teil in mir so gemein ist, einen anderen Teil in mir zu quälen und ob das für mich hilfreich, sinnvoll und nützlich ist? Sollte ich mich also selbst mit meinen eigenen Gedanken, perfektionistischen Ansprüchen und Zielen stressen, dann hilft mir eine Entspannungstechnik wenig, da sie nur palliative (schmerzlindernde) und aufschiebende Wirkung hat.
Sollte ich hingegen Zehnkämpfer sein und mich zwischen Weitsprung und Kugelstoßen erholen wollen, dann hilft eine Selbsthypnosetechnik wie autogenes Training sicherlich sehr gut.
Ich bin also ein Verfechter der ‚Aktion‘. Aktive Menschen ändern etwas an ihrem Leben oder akzeptieren das Unabänderliche (das ist paradoxerweise ein aktiver Vorgang). Damit setzen sie ihre Energie optimal ein und verschwenden sie nicht, für Unerreichbares oder Unrealistisches. Somit gibt es für aktive Menschen wenig Gründe sich ‚künstlich‘ zu entspannen – sie sind entspannt, wenn die Dinge getan sind.
Woher weiß der Einzelne, wie erschöpft er wirklich ist? Ist das messbar?
Es gibt psychologische Fragebögen, die mehr oder weniger genau psychische Erschöpfung messen können. Hier ist immer die Qualität des Fragebogens entscheidend und mit welchem Kollektiv es mich vergleicht. Psychologen und Fachärzte können da sicherlich gut weiterhelfen. Körperliche Erschöpfung beziehungsweise körperliche Ressourcen kann man mit einer Spiroergometrie sehr gut messen. Hier kann man tatsächlich sehen, wie fit und ausdauernd jemand ist und ob das ’normgerecht‘ ist.
Wie bekommst Du selbst eine gute Life-Balance hin?
Über Jahre habe ich mich mit dieser Frage beschäftigt. Ich habe sehr viel studiert, gelesen, trainiert und werde das auch so in Zukunft beibehalten. Meine Neugierde und der innere Wunsch mich persönlich weiterzuentwickeln treiben mich an. Ich bin häufig von erfolgreichen Menschen umgeben und lerne viel durch sie.
Allerdings hatte ich auch das große Glück meinem Mentor Milenko Vlajkov zu begegnen und viel vom ihm zu lernen. Meine Arbeit strengt mich nicht an, da ich sie gerne mache. Ich kann mir keine bessere Tätigkeit für mich vorstellen. Ein weiteres Glück scheint zu sein, dass ich physisch sehr belastbar bin. Last but not least habe ich großes Glück mit meiner Frau – sie akzeptiert mich so, wie ich bin – habe also auch von dieser Seite des Lebens keinen Stress.