DER FRÜHLING ERWACHT RETRO: STYLE-TRENDS FÜR DEN FRÜHLING (UND SOMMER) 2017

Das Frühlingserwachen gilt ja normalerweise als Neuanfang, ganz im Sinne des altbekannten „Alles neu macht der Mai“. Das wiederum ist erstaunlich altmodisches Gedankengut, führt aber andererseits gleich zum Kern der Sache: Denn was Style-Fragen anbelangt, erwacht der Frühling in diesem Jahr einmal mehr im Retro-Gewand.

Die 90er sind tot, es leben die 90er!

Manche Dinge sind schlicht und ergreifend nicht totzukriegen. Also kommen sie immer wieder und das ist gerade in Sachen Mode und Style ein nicht zu übersehendes und hinlänglich bekanntes Phänomen. Ohne die Kreativität von Designern in Abrede stellen zu wollen, aber der Grundsatz „Du kannst nichts Neues mehr erfinden“ scheint doch eine gewisse Berechtigung zu haben.

Das könnt ihr natürlich auch positiv formulieren, dann heißt der grundlegende Gedanke „Was früher gut war, muss heute nicht schlecht sein“ – was bei Lebensmitteln ein gefährliches Spiel mit der Gesundheit ist, nennt sich im Lifestyle-Bereich Retro.

Dazu braucht es nicht mal eine der vielen Motto-Partys, der Retro-Style ist absolut alltagstauglich und noch dazu allgegenwärtig. Mode, Unterhaltungsindustrie, Lebensmittelbranche, sie alle unterfüttern das nostalgische Gefühl der Kindheit. Zumindest für die Generationen, die etwa die 80er und 90er schon richtig miterlebt haben und damit Erinnerungen verbinden. Auch wenn es nicht zwingend ein Muss ist, sozusagen ein Kind der Zeit (um den in diesem Zusammenhang vielleicht etwas deplatzierten Ausdruck „Zeitzeuge“ zu vermeiden) zu sein.

Florence Shirazi beispielsweise, Mitbegründerin des Stuttgarter Modelabels „Mademoiselle YéYé“, ist ein Kind der 70er, allerdings fühlt sie sich genauso den 60ern verbunden – und macht daher genau solche Mode (zu finden ist sie mit ihrem Laden übrigens im Fluxus). Womit sie offensichtlich noch im Trend liegt, auch wenn etwa die Vogue das große Revival der Sixties erst für die Herbst- und Winterkollektionen prophezeit. Spricht das in irgendeiner Form dagegen, die Ankunft des Frühlings im ebenso klassischen wie verspielten Chic der 60er zu begrüßen? Sicher nicht.

„Das war eine wichtige Zeit, in der viel passiert ist, wir assoziieren damit Freiheit, Aufbruch, Empanzipation, Farbenpracht, aber natürlich auch das Spiel mit Klischees“ Florence Shirazi, Mademoiselle YéYé

Die jüngeren Semester übrigens, die gezwungenermaßen über keine nostalgischen Erinnerungen an weiter zurückliegende Jahrzehnte vorzuweisen haben, können sich aber trotz allem noch auf persönliche Präferenzen beim Style-Faktor im Allgemeinen berufen. Retro ist eben nicht nur für die Generation Y.

Das habe ich doch schon mal irgendwo gesehen?

Der vielleicht größte Vorteil des anhaltenden Retro-Trends: Manche Sachen gehen einfach immer. Sie erfahren vielleicht mal mehr, mal weniger Aufmerksamkeit, aber sie verschwinden niemals vollständig von der Bildfläche und sind zu keiner Zeit out of fashion. Sneakers zum Beispiel haben es geschafft, ein permanenter Trend zu werden. Gut, das liegt nur zum Teil in der Zeitlosigkeit der Turnschuhe, sondern ebenso gut in der Wandelbarkeit.

So hat Nike mit seinen Air Max noch einmal für eine ziemliche Belebung des Sneaker-Geschäfts gesorgt, das in diesem Jahr ein beachtenswertes Jubiläum feiert: Der wohl klassischste „Turnschuh“ aller Zeiten, der Chuck Taylor All Star von Converse, wurde vor ziemlich genau 100 Jahren zum ersten Mal zum Verkauf angeboten. Damit dürften „Chucks“ theoretisch nicht mehr nur Retro, sondern Vintage sein, trotzdem schaffen sie es nach wie vor – äußerlich nahezu unverändert – an die Füße von Menschen fast jedweden Alters.

Ein ähnlicher Fall eines modischen Trends, der irgendwo zwischen „wiederkehrend“ und „war nie weg“ anzusiedeln ist: Hoodies. Für Joana Scheu vom Stuttgarter Fashion-Travel-Lifestyle-Blog The Blonde Lion ein unverkennbares Indiz für die Rückkehr der 90er, ganz klamottenmäßig gesprochen. Frau darf sich also über eine weitere Möglichkeit freuen, das schicke Outfit mit dem Kapuzenpulli um ein kontrastierendes und gerade deswegen so spannendes Teil ergänzen zu können.

Mann hingegen bekommt (wieder) einen Klassiker an die Hand gegeben, der nun nicht nur aus Gründen der Bequemlichkeit, sondern in dem vollen Bewusstsein getragen werden kann, damit im Hinblick auf kommende Fashion-Trends absolut auf der Höhe der Zeit zu sein. Praktisch eigentlich, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können.

Was ist dein Jahrzehnt?

Florence Shirazi macht sich stark für die 60er und 70er, ansonsten sind die 90er offenbar wieder auf dem Vormarsch. Gefällt dir alles nicht, weil das so gar nicht deine Jahrzehnte sind? In dem Fall lautet die gute Nachricht: Die Frühlingstrends 2017 bedienen sich darüber hinaus auch noch an anderer Stelle – richtiger: anderen Stellen – in der Historie.

Was unter anderem bedeutet, dass sich auch die 80er wieder aus dem Kleiderschrank hervortrauen dürfen. Wenn also extrabreite Schultern und mega-verschlankte Beine genau deine Kombination sind oder Rüschenkleider bei dir keinerlei Bedenken hervorrufen, dann muss es nicht länger heißen „Whatever happened to the 80s“. Denn die Antwort lautet ganz einfach – was immer passiert ist, jetzt sind sie jedenfalls zurück.

„If you don’t dress like everyone else, you don’t have to think like everyone else.” Iris Apfel

Apropos „zurück“: Falls das noch immer nicht deinem Style-Empfinden entspricht, es geht tatsächlich sogar noch ein Stückchen weiter zurück in der Zeit. Falls du also mit Neon und Schulterpolstern so gar nichts anfangen kannst, sondern dich eher in den 30ern bis 50ern zu Hause fühlst, solltest du dich vertrauensvoll an Johanna Hellmich wenden.

Die hat sich mit ihrem Laden „Schmachtfetzen“ voll und ganz der Vintage-Thematik verschrieben und stellt auch gleich klar, warum es für sie gerade Vintage sein muss – auf zwei Begriffe heruntergebrochen geht es um Zeitlosigkeit einerseits und Weiblichkeit andererseits. Abgesehen davon, dass die Retro-Looks durchaus das Zeug dazu haben, die (nicht nur modische) Individualität zu feiern.

Retro on the Inside

Jetzt ist Retro kein Trend, der sich alleine auf das Kleidungsthema beschränkt. Viel mehr ist Retro auch fester Bestandteil der Inneneinrichtung geworden. Dazu muss es nicht erst ein Trip in die Szene-Kieze der Hauptstadt sein, die Erfahrung kann fast überall gemacht werden. Wenn du also wenigstens gelegentlich eines der Stuttgarter Cafés und Bistros frequentierst, dürfte dir an verschiedenen Stellen der Vintage-Look der jeweiligen Lokalitäten aufgefallen sein.

Das entspricht nicht nur einem inzwischen also recht verbreiteten Geschmack hinsichtlich der Möblierung, sondern spiegelt auch einen gewissen Zeitgeist wieder – der „Shabby Chic“ vom Café-Bistro Holzapfel etwa oder vom Pano oder der Academie der Schönsten Künste ist bis zu einem gewissen Grad eine Absage an eine allzu durchdesignte Gastronomie.

Auf der anderen Seite schließen sich modern und Retro wiederum nicht aus, ganz im Gegenteil. Was nicht zuletzt daran liegt, dass viele Designs, die noch vor ein paar Jahrzehnten zukunftsweisend waren, inzwischen selbst unter Retro laufen. Bestes Beispiel: Die Form-folgt-Funktion-Möbel aus Bauhaus-Tagen.

Vielleicht nicht unbedingt das, was dir bei der Kombination von Retro und Wohnen als allererstes in den Sinn kommt. Immerhin teilen sich die von Stam, van der Rohe und Eames entworfenen Stücke ein Schicksal mit den guten alten „Chucks“ – ihnen haftet die Aura zeitloser Relevanz an.

Abgesehen davon hat auch hier der Nostalgie-Faktor Gewicht, darin unterscheiden sich Möbel und Kleidung ebenfalls nicht. Was wiederum der Hintergrund sein dürfte, warum so viele (junge) Menschen die eigenen vier Wände ein wenig wie zu Großmutters Zeiten einrichten.

Damit der gewünschte Shabby Chic dann auch wirklich Einzug in deine Wohnung hält, lohnt sich der Besuch bei Jeanette Brauer, die aus Hobby und Leidenschaft für Vintage-Möbel eine Geschäftsidee gemacht hat. Das Label „Vinly“ steht daher für handaufbereitete Möbel und Wohnaccessoires, die ganz nach deinem Wunsch zurechtgemacht werden.

Ist dir dann vielleicht doch zu old school? Dann haben die Jungs von Schoenhaesslich möglicherweise eine Entdeckung gemacht, die doch noch persönliche Erinnerungen an „damals“ ins Wohnzimmer bringen, in Form einer überdimensionierten Musikkassette. Zugegeben, nicht direkt ein Retro-Möbel, aber doch eines, dass Kindheits- und Jugenderinnerungen zu Tage fördern dürfte. Praktisch: Für die Bedienung des Tisches wird wohl kein ebenso überdimensionierter Bleistift notwendig sein. Die Älteren wissen schon, was gemeint ist.