Warum es uns so schwerfällt, einfach mal die Klappe zu halten
Wir sprechen unaufhörlich – Männer genauso wie Frauen. 16.000 Wörter am Tag*, 5,8 Mio. im Jahr, 440 Mio. in 75 Jahren. Sind das alles sinnvolle Dinge, die wir da von uns geben, oder ist dieses viele Reden vor allem eine riesige Energieverschwendung?
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Ist jede Form des Schweigens „golden“? In meinem Artikel möchte ich vor allem auf zwei goldene Formen des Schweigens eingehen und erklären, warum es uns so schwerfällt, ab und an den Mund zu halten:
- Schweigen als Form der Selbstbeherrschung – seinen Mund vor allem dann halten, wenn man unter großem Druck steht oder provoziert wird.
- Schweigen als „Umweltschutz“ – seinen Mitmenschen nicht durch das unaufhörliche Gemecker zur Last fallen.
Erst denken, dann sprechen
Meistens ist das, was man impulsiv im Stress von sich gibt, nicht gerade der Weisheit letzter Schluss. Häufig hat man das hinterher bitter zu bereuen. Seine Zunge zu hüten, erst zu überlegen und dann zu sprechen – das klingt so leicht und ist doch so schwer umzusetzen. Gerade in kritischen Situationen, wo es wirklich auf dieses einfache Rezept ankäme, ist es besonders schwierig, nicht impulsiv drauflos zu plappern.
Ein Mann, ein Wort – eine Frau, ein Wörterbuch.
Dass die These von den plappernden Frauen haltlos ist, wurde in der oben zitierten Studie bewiesen. Männer sind keinesfalls so wortkarg und schweigsam, wie sie es gerne nach außen darstellen wollen.
Miteinander zu reden dient eigentlich nur dem Informationsaustausch. Und Unterhaltungen dieser Art sind kurz und karg. Wir kämen mit einem Bruchteil der 16.000 Wörter aus, wenn wir nur relevante Informationen austauschen würden.
Warum in aller Welt sprechen wir also so viel?
Aber wir bereden offensichtlich nicht nur relevante Dinge, sondern tauschen beim Small Talk neben Belanglosigkeiten über das Wetter auch noch allerlei Klatsch und Tratsch aus. Dieser Tratsch à la „Weißt du schon, was sich der Müller wieder geleistet hat?“ fungiert gleichzeitig als eine Art sozialer Kleb- aber auch als Sprengstoff: Gemeinsames Lästern über Dritte stärkt einerseits die Bande zwischen manchen Mitgliedern der sozialen Gruppe, andererseits führt es zu großen Konflikten, wenn herauskommt, wer über wen schlecht geredet hat.
Eine besondere Form der Kommunikation: „Mentales Auskotzen“
Die Hypothese**, warum wir unaufhörlich vor uns hin blubbern, ist jedoch, dass Sprechen vor allem ein Ventil ist, die inneren psychischen Spannungen abzubauen. Umgangssprachlich wird dieser Spannungsabbau salopp als „mentales Auskotzen“ bezeichnet.
Bei kleinen Kindern ist das offensichtlich – sobald es ihnen zu viel wird, jammern und weinen sie. Jammern, schimpfen, motzen, schreien und ausrasten – auch Erwachsene nutzen diese angeborene Strategie zum Stressabbau. „Ich muss mich jetzt mal so richtig über diesen Müller auskotzen!“
Viele haben das Gefühl zu platzen – mentales Auskotzen als Ventil
Wenn man über Jahre den Stress des Lebens in sich hineingefressen und nicht gelernt hat, mit stressigen Sinneseindrücken und anderen problematischen Lebenssituationen auf eine konstruktive Art umzugehen, hat man eines Tages das Gefühl zu platzen.
Um nicht zu platzen und den inneren Druck kurzfristig abzubauen, benutzen fast alle Menschen die drei gleichen, destruktiven Strategien:
- Sich betäuben und ablenken – und so tun, als gäbe es den Druck und die Spannungen nicht
- Sich durch körperliche Aktivität erleichtern – endlos sporttreiben oder gewalttätig werden
- Sich mental auskotzen – durch endloses Schimpfen und „Bruddeln“ den Stress abbauen
Die Kunst, auch dann zu schweigen, wenn es schwerfällt
Oft hat man den impulsiven Drang, sich verbal zu erleichtern, obwohl man gleichzeitig weiß, dass es besser wäre, still zu sein. Gerade in diesen kritischen Situationen verlangen Menschen aber von sich, zu funktionieren – sie möchten vor allem dann beherrscht, souverän und überlegt sein, wenn es darauf ankommt.
Und das Wissen, dass es besser wäre, seinen Mund zu halten, während man sich gleichzeitig um Kopf und Kragen redet, führt unweigerlich zum Ärger über sich selbst.
Dann muss man zwei Probleme lösen
Wenn einem wieder Dinge rausgerutscht sind, die man nie sagen wollte, dann hat man nicht nur die Schwierigkeit, dem anderen klarzumachen, dass das Ganze ein Versehen war, sondern man muss sich zusätzlich noch mit der Frage herumquälen, warum es einem wieder nicht gelungen ist, den Schnabel zu halten.
Hätte man nur zwei Sekunden innegehalten und über die eigenen Worte nachgedacht, hätte man jetzt womöglich kein Problem am Hals.
Da sich die ausgesprochenen Worte nur leider nicht wieder rückgängig machen lassen, bleibt nur eins: Es zukünftig besser machen.
Aber wie macht man das? Wie schafft man es, „einfach mal die Klappe zu halten“ und über die eigenen Worte nachzudenken, bevor man sie ausspricht? Und wie bekommt man den Selbstärger aus den Knochen, wenn man mal wieder einfach losgeplappert hat? Wenn du die Antwort auf die Frage nach „der Kunst des Schweigens“ suchst, wirst du im Dr. Holzinger Institut fündig!
*Mehl, Vazire, Ramírez-Esparza, Slatcher & Pennebaker (2007): Are Women Really More Talkative Than Men? Science 317 (5834), 8
**Die Idee zur Formulierung dieser Hypothese und die daraus entwickelten Gedanken habe ich von Dipl. Psych. Milenko Vlajkov