GEHEIMTIPP BLICKWINKEL MIT ROSA PÖTTINGER UND FLORIAN CZAK

NEUE PERSEPEKTIVEN AUF STUTTGART MIT ROSA PÖTTINGER UND FLORIAN CZAK VOM DEMOKRATIE FEIERN E.V.

In unserer Rubrik „Blickwinkel“ kommen Stuttgarter*innen aus unterschiedlichsten Bereichen – Politik, Kultur, Wirtschaft oder Bildung – zu Wort. Wir möchten zeigen, wie vielfältig, inspirierend und manchmal auch herausfordernd das Leben in Stuttgart sein kann. Dieses Mal haben wir mit Rosa Pöttinger und Florian Czak vom Demokratie Feiern e.V. gesprochen. 

Der Stuttgarter Verein versteht sich als Kreativnetzwerk, das Demokratie sichtbar macht und Menschen ermutigt, Haltung zu zeigen – auf der Straße, in der Popkultur und im digitalen Raum. Mit innovativen Formaten, Bildungsangeboten und der Initiative „Wear Democracy“ bringt er politische Teilhabe in den Alltag und zeigt: Demokratie kann nahbar, kreativ und alltagstauglich sein.

Doch warum braucht es solche Initiativen gerade jetzt? In Zeiten von Desinformation und politischer Apathie ist es wichtiger denn je, Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als gemeinsame Aufgabe zu verstehen.

„Demokratie Feiern e.V.“ setzt genau hier an – mit dem Ziel, das Zeigen von Haltung wieder erstrebenswert zu machen.

1. Wie würdet ihr Stuttgart in drei Worten beschreiben?

Rosa: Bodenständig, fleißig, „underrated“.
Flo: Hügelig, heimelig, hungrig.

2. Was wäre aus Stuttgart nicht wegzudenken und warum?

Rosa: Stäffele und die „Jeder kennt jede*n“-Community. 
Flo: Und Kessler (Sekt). Der vermutlich kleinste gemeinsame Nenner.

3. Gibt es die*den typischen Stuttgarter*in? Und was sind ihre*seine Bedürfnisse?

Flo: Glauben wir nicht – Stuttgart ist wesentlich diverser, als es oft beschrieben wird.
Rosa: Und wenn – was wir alle brauchen:  Der Wunsch nach Orten, die sich gut anfühlen, einer Community, die einen nicht hängen lässt und Aufgaben, die einen zufrieden machen. 

4. Wo macht Stuttgart einen guten Job, wo gibt es noch Handlungsbedarf?

Rosa: Der Klima-Innovationsfonds ist bundesweit ziemlich einmalig. Auch Initiativen wie die “Raupe Immersatt” zeigen, dass wir in Stuttgart mit Blick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung gute Ideen und Grundlagen haben. Ein sehr offensichtliches Handlungsfeld liegt in der Mobilität: Mit dem Auto steht man oft mehr als man fährt, mit dem Rad begibt man sich oft in Gefahr oder muss Umwege machen. Da geht was, genau wie bei den Bauprojekten. Im Zuge der IBA27 passiert hier viel Spannendes, aber am Ende brauchen wir diesen Mut auch jenseits davon.

5. Wie ist die Initiative Demokratie Feiern entstanden?

Flo: Ehrlich gesagt: aus Frust. Polarisierung, Desinformation und die Tatsache, dass junge Menschen Demokratie oft für selbstverständlich nehmen und sich nicht aktiv mit ihr auseinandersetzen – das wollten wir ändern. Wir kommen aus der Kreativbranche, also dachten wir: Dann machen wir es eben anders. Demokratie kann etwas richtig Feierbares sein, wenn man sie richtig vermittelt.

6. Gab es einen persönlichen Schüsselmoment für euer Engagement?

Rosa: Ja, die Correctiv-Recherche von 2024. Das war ein “Jetzt oder nie”-Moment. Plötzlich wurde greif- und spürbar, wie fragil unser gemeinschaftliches Zusammenleben ist. Dass es so schnell noch brisanter werden würde, hätten wir nicht gedacht. Aber dem müssen wir uns jetzt umso mehr stellen.

7. Was sind aus eurer Sicht aktuell die größten Herausforderungen für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Stuttgart und Baden-Württemberg?

Flo: Es wird nicht mehr zugehört. Die vielzitierte „Spaltung“ unserer Gesellschaft basiert gar nicht so sehr darauf, dass unsere Meinungen immer verschiedener werden – wir wollen die der anderen nur immer weniger hören. Wenn Menschen nur noch in ihren Bubbles leben wollen, gibt es keinen echten Dialog mehr. Stattdessen werden Standpunkte immer mehr mit Desinformation untermauert – und Fakenews sind eben keine Memes, sondern Waffen.

8. Wie kann Stuttgart zu einem Vorbild für gelebte Demokratie und Vielfalt werden?

Rosa: Stuttgart bietet einige starke Initiativen und Partizipationsmöglichkeiten, aber wir können und müssen mehr wagen: mehr offene Räume für Begegnung, mehr innovative Bürgerbeteiligung, mehr Experimente. Demokratie muss erlebbar sein – und Fortschritt gemeinsam erarbeitet werden. Wir brauchen niederschwellige Angebote und Kommunikation. Oft würde es schon helfen, wenn Menschen wüssten: “Hey, du kannst deinem Bezirksvorsteher in deinem Stadtteil einfach eine Mail schreiben – und der antwortet dir sogar!” Das bringt uns aber niemand bei.

9. Welche Rolle spielen Bildung und Aufklärung in eurer Arbeit? Wie kann politische Bildung in Stuttgart weiter gestärkt werden?

Flo: Eine riesige! Aber das Thema muss anders vermittelt werden. Niemand hat Lust auf Frontalunterricht in Demokratie. Wir setzen auf Events, Popkultur und kreative Formate. In unseren Workshops arbeiten wir mit Methoden wie Design Thinking (zusammen mit der „Stell dir vor! gGmbH“), damit die Inhalte auch wirklich hängen bleiben.

10. Welche Rolle spielen Kultur und kreative Formate in eurer Arbeit?

Rosa: Eine unglaublich große. Wir kommen alle aus der Kreativbranche, haben Produkte und Kampagnen für große Marken entwickelt oder Showrooms und Events gestaltet. Einige von uns machen Kunst oder Musik. Das hilft uns, das Thema Demokratie anders anzugehen. Junge Menschen beschäftigen sich beispielsweise oft mehr mit Mode als mit demokratischen Grundwerten – dann machen wir Demokratie eben fashionable. Mit kultureller Relevanz erobert man die Herzen jeder Zielgruppe, auch in diesem Fall. 

11. Wie können junge Menschen besser in demokratische Prozesse eingebunden werden? Welche Strategien haben sich bewährt?

Flo: Politik muss dort stattfinden, wo junge Leute sind: Social Media, Festivals, Gaming. Vor allem aber müssen sie und ihre Standpunkte ernstgenommen werden – junge Menschen interessieren sich für politische Inhalte, nicht für pseudounterhaltsamen TikTok-Content oder Alibi-Workshops. Schulen sind nicht gerade die beste Inspirationsquelle für Beteiligungsprozesse. Es gibt wenig undemokratischere Orte als Schulen. Wie soll man etwas lernen, wenn man es anders vorgelebt bekommt? Wir wollen jungen Menschen zeigen: Demokratie betrifft dich, dein Leben, deine Stadt. Wer Mitbestimmung erleben will, muss sie früh üben. Und: Beteiligung heißt auch Verantwortung übernehmen.

Demokratie e.V. Workshop

12. Welche Maßnahmen können Städte wie Stuttgart ergreifen, um ein lebendiges demokratisches Miteinander zu fördern?

Rosa: Bürokratie darf nicht der Endgegner für Menschen sein, die etwas bewegen wollen. Junge Initiativen brauchen Perspektive und Raum zur Entwicklung. Bürgerbeteiligung muss auf ein neues Level gehoben werden, weg von drögen Sitzungen, hin zu kreativen Formaten. Zudem braucht es mehr Formate zur Vernetzung zwischen Stadtteilen, Kulturszenen und Communities – denn Demokratie entsteht da, wo Menschen sich begegnen.

Haltung zeigen mit den Statement-Schals!

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https://demokratiefeiern.com