„Null Sieben Elf“ im Herzen: Ein Gespräch mit Illustratorin Lea Dohle
Lea Dohle arbeitet seit 2017 als freischaffende Illustratorin für Magazine, Unternehmen und Institutionen. Sie hat Kommunikationsdesign an der Kunstakademie Stuttgart studiert und legt in ihrer Arbeit besonderen Wert auf die gezeichnete Linie – analog wie digital. Neben ihren Auftragsarbeiten ist Lea als „Paperrazza“ auf Events unterwegs, wo sie live Portraits der Gäste zeichnet. Von Comics bis grafischen Icons, von ZEIT-Podcasts bis hin zu spontanen Skizzen im Café – Lea Dohle hat ihren ganz eigenen Stil gefunden. Wir haben uns mit ihr über Kindheitsträume, kreative Routinen und die Rolle von Stuttgart in ihrem Schaffen unterhalten.

Liebe Lea, war dir schon als Kind klar, dass du kreativ arbeiten möchtest?
Ja, ich habe im Kindergarten schon erzählt, dass ich Malerin werden will. Ich habe irre gerne mit Bleistift Situationen dokumentiert, meistens habe ich meine Familie und unseren Kater Hackl abgezeichnet, mitsamt perspektivischen Räumen und Details wie Pflanzen, Kissen und Möbel. Als ich dann bei einem Malwettbewerb einen Gameboy gewonnen habe, wusste ich endgültig, dass ich auf dem richtigen Weg bin und Zeichnen mir Glück bringt.
Wie hat sich dein Weg zur Illustration entwickelt?
Ich wollte unbedingt etwas mit Gestaltung machen und landete zunächst beim Animationsfilm. Ein Praktikum bei Studio Soi zeigte mir aber, dass mir in diesem Bereich die Geduld fehlt. Kurzfristig bewarb ich mich dann für Kommunikationsdesign an der Kunstakademie Stuttgart und wurde genommen. Erst spät im Studium habe ich erkannt, dass Grafikdesign nichts für mich ist, und Illustration meine eigentliche Leidenschaft. Als ich mich nur noch aufs Zeichnen konzentriert habe, hat es endlich Klick gemacht.
Welche Künstler*innen oder Strömungen haben dich geprägt?
Als Kind haben mich Walt Disney, Matt Groening, Schallplattencover meines Vaters, Tomi Ungerer, M.C. Escher, die Bilderbüchersammlung meiner Mutter (Mumins, Astrid Lindgren, Erich Kästner) geprägt. Späterdann Milton Glaser und Seymour Chwast, die ich sogar in New York besuchen durfte. Heute inspirieren mich vor allem Manga, Anime (Studio Ghibli, Demon Slayer, Spy Family) und Illustrator*innen wie Elizabeth Pich, Max Baitinger oder Tara Booth.
Gibt es ein Werk/Projekt, auf das du besonders stolz bist?
Ja, mein Gender-Klappbuch – humorvoll und kritisch zu Rollenbildern, das ich gerne über einen Verlag veröffentlichen würde. Außerdem mein nostalgisches Projekt „SO BIN ICH“, ein Modekatalog für Curvy Frauen, den ich als Kind begann und später mit absurden, humorvollen Designs fortgeführt habe. Dieses Projekt steht für meinen kreativen Urknall.
Wie würdest du deinen Illustrationsstil beschreiben?
Grafisch reduziert auf das Wesentliche, klare Formen die nach Balance streben, entschiedene Outlines und kräftige Farben, eindeutige Perspektiven, Gravitation ist oft ausgehebelt, zugänglich und verständlich, schwerelos und trotzdem magnetisch, schnörkellos und auf den Punkt.

Freie Arbeit an ihrem Alter Ego “Donna Van Dohlen”
Hast du Routinen beim Arbeiten?
Nicht wirklich. Ich brauche Flexibilität. Mal arbeite ich im Homeoffice, mal im Gemeinschaftsbüro, mal im Café. Es ist immer ein Balanceakt zwischen Trubel und Rückzug.
Wie gehst du an ein neues Projekt heran?
Ich starte immer analog. Mein Stift ist direkt mit meinem Kopf verbunden – digital blockiert mich oft. Ich sammele Symbole, auch Klischees, und spiele damit herum. Bilder sind wie Worte: Je einfacher und bekannter, desto besser erreichen sie Menschen. Wenn eine gute Idee da ist, gehe ich digital weiter.
Deine Zusammenarbeit mit der ZEIT ist ein Meilenstein. Wie kam es dazu?
Ich habe am Anfang meiner Selbstständigkeit (2017) mein Portfolio an die ZEIT geschickt. Ein paar Monate später habe ich vom damaligen Art Direktor Christoph Rauscher einen Anruf bekommen, ob ich Lust hätte, die Cover für die ersten drei Podcasts zu illustrieren. Ich denke heute oft, es war ein riesiges Glück, dass ich sofort ans Telefon gegangen bin. Wer weiß, ob nicht sonst die nächste Favoritin dieses umfangreiche Projekt hätte machen dürfen. Dass aus den drei Podcast Covern irgendwann mal über 50 werden und immer noch mehr dazu kommen, hätte ich nie gedacht! Das ist auf jeden Fall meine stärkste und bekannteste Referenz und es erfüllt mich mit großer Freude, zu wissen, dass meine Bilder jeden Tag von so vielen Menschen gesehen werden.


Seit 2017 entstehen regelmäßig neue ZEIT PODCAST COVER, inzwischen sind es schon über.


Mit wem würdest du in Zukunft gerne arbeiten?
Ein Cover für den New Yorker wäre ein Traum. Aber ich hätte auch große Lust, die Breuninger-Fassade zu gestalten oder mit Heldbergs Games ein Brettspiel zu entwickeln. Gemeinsam mit meiner Kollegin Danae Diaz plane ich außerdem „The Stuttgarter“ – eine Hommage an die legendären New Yorker-Cover, nur eben mit Stuttgart-Bezug.
Gab es auch besonders harte Aufträge?
Definitiv: Für The Economist habe ich ein halbes Jahr lang jede Woche den „Banyan“ illustriert. Text morgens, Reinzeichnung abends – meist im Café Kaiserbau zwischen Cappuccino und Schokokuchen. Das hat mich an meine Grenzen gebracht, aber auch gezeigt, was ich leisten kann.
Welche Rolle spielt Stuttgart für dich?
Ich bin 1988 ganz in der Nähe vom Bad Berg geboren. Die schönsten Erinnerungen aus meiner Kindheit habe ich an die Ecke Alexanderstraße, Jugendfarm und Bopser, wo ich meine ersten 5 Jahre gelebt habe. Wir sind dann aufs Land gezogen Richtung Calw und zum Studieren bin ich wieder zurückgekommen und kleben geblieben. Ich habe hier inzwischen ein gutes Netzwerk aus Freunden, guten Kollegen und anderen Kreativen.
Hast du Lieblingsorte in Stuttgart?
Oh ja! Brainstormen im Galao, zeichnen in Harrys Rösterei oder im Lapidarium, Austausch im Fietsen. Inspiration finde ich auch in der Stadtbibliothek oder bei der „Montage“ in der Rakete. Und wenn ich nachdenken will, setze ich mich auf die Treppe am Marienplatz – am besten nach dem Yin-Yoga.
Was macht Stuttgart für Kreative besonders?
Stuttgart ist nicht die lebenswerteste Stadt – und genau das ist spannend. Not macht erfinderisch. Ich träume von einer autofreien Stadt, voller Gastro, Kultur und bunter Elektro-Rikschas. Aber es braucht definitiv mehr bezahlbare Räume für Kreative.
Dein Geheimtipp für Stuttgart-Besucher*innen?
Eine Wanderung durch die Schwälblesklinge – wie im Herr der Ringe-Film. Ein Bad im Mineralbad Berg für ein bisschen Wes Anderson-Feeling.
Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Freude?
Ich liebe es, mich in die unterschiedlichsten Themengebiete reinzudenken, komplexe Inhalte auf ihre Essenz runterzudampfen und an Bildern zu modellieren, bis ich weiß, jetzt muss ich aufhören. Und ich liebe es, dass ich diese Arbeit alleine mache, statt in einem Team. Als Ausgleich bin ich mit meinem Projekt „Paperrazza“ auf Events unterwegs, wo ich Menschen mit japanischer Tusche porträtiere. Diese Begegnungen sind ein Geschenk.
Und ein Thema, das du unbedingt mal illustrieren möchtest?
Ich würde gerne mal ein eigenes Tarot-Deck entwickeln, das auf dem Werk der spannenden Künstlerin Pamela Colman Smith basiert. Ich finde es erstaunlich, wie einem die illustrierten Karten helfen können – nicht als externe Macht, sondern als Spiegel des Inneren.
Drei Worte für Stuttgart?
Null. Sieben. Elf.

Die Schallplatte, die anziehend wirkt wie ein schwarzes Loch, ist eine Plakatgestaltung für das Popbüro Stuttgart.


