So weit weg und doch so nah dran: Selten fühlte sich amerikanische Politik so bedrückend an wie unter Präsident Trump. Und selten fühlten wir ein solch kollektives Aufatmen wie zu Joe Bidens Amtseinführung. Aber:
“Was verbindet uns eigentlich mit den USA?”
Noch immer fühlt es sich an wie ein schlechter Traum: Am 08.11.2016 war klar, dass Donald Trump der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte – damals undenkbar, war doch Konkurrentin Hillary Clinton die vorausgesagte Gewinnerin fast aller Beobachter. Was dann kam?
Es wurde viel getwittert, es wurde viel selbst beweihräuchert. Und vor allem wurde in den vier Jahren, in denen Trump als mächtigster Mann der Welt galt, viel Hass geschürt.
Und jetzt? Das Land muss heilen, sagte Joe Biden in seiner Amtseinführung, der sogenannten „Inauguration“ heute vor einer Woche. Heilen von diesem Hass, von den Keilen, die zwischen die Gesellschaft getrieben wurden. Seit dem 20. Januar 2021 gegen 12:00 Uhr Ortszeit ist es offiziell: Die USA haben einen neuen Präsidenten; einen Demokraten, der Trump die Stirn geboten hat. Joe Biden hat sich mit seinen 78 Jahren mit seiner Präsidentschaft einer Herkules-Herausforderung gestellt: Zerstrittene wieder zu versöhnen.
Nicht nur Joe Biden als 46. US-Präsident schafft Hoffnung, sondern auch Vize-Präsidentin Kamala Harris mit jamaikanisch-indischen Wurzeln. Sie ist die erste schwarze Vize-Präsidentin der USA – und wird von Experten bereits als mögliche erste schwarze Präsidentin gehandelt.
„Es gibt immer Licht, wenn wir mutig genug sind, es zu sehen, mutig genug sind, es zu sein“,
sagt die junge Schriftstellerin Amanda Gorman frei übersetzt. Mit ihrer Rede zur Inauguration berührt sie Millionen. Auch uns.
Am Tag der Amtseinführung fühlen wir uns gelöst und irgendwie befreit. Komisch, dabei trennt uns doch hier in Stuttgart so viel von den USA – oder? Vielleicht schon. Aber ist es nicht so viel wichtiger zu begreifen, was uns verbindet?
STUTTGART AUSSERHALB STUTTGARTS
Um erst mal auf semantische Gemeinsamkeiten zu kommen: Stuttgart gibt’s auch in den USA. Genauer gesagt, in Arkansas. Adam Bürkle (das „le“ sagt schon alles!) gründete 1878 als schwäbischer Auswanderer die Stadt im südlichen Bundesstaat der USA. Gebürtig aus Plattenhardt, baute der Pfarrer dort eine Siedlung mit 65 Personen auf. Weil diese auch ein Postamt benötigte, musste ein Name her. Als Hommage an seine alte Heimat, bekam die Siedlung den Namen Stuttgart und gilt heutzutage als Welthauptstadt des Reises und der Entenjagd.
Heute leben rund 10.000 Menschen im amerikanischen Stuttgart – das macht eine Bevölkerungsdichte von 591 Einwohner pro km². Wie das bei uns aussieht? Mit rund 637.000 Einwohnern liegen wir bei 3.067 Einwohnern pro km². PSSSST! Der Film Rosalie Goes Shopping von Percy Adlon (1988, USA) spielt in Stuttgart/Arkansas.
DAS DEUTSCH-AMERIKANISCHE ZENTRUM
Erste Anlaufstelle in Stuttgart für Interessierte an US-amerikanischer Politik, Kultur und Geschichte, für USA-Begeisterte und in Stuttgart ansässige US-Amerikanerinnen und -Amerikaner ist das Deutsch-Amerikanische Zentrum (DAZ) am Charlottenplatz. Das DAZ wurde 1995 übrigens als Nachfolgeinstitut des Amerikahauses in Stuttgart gegründet. Neben Sprachkursen und einer tollen Bibliothek mit amerikanischer Literatur ermöglicht das DAZ auch USA-Aufenthalte wie ein High School Year oder ein Praktikum. Als ein Ort der Vernetzung und der interkulturellen Begegnung setzt es sich mit Vorträgen, Kulturfesten, Ausstellungen, Konzerten und Beratungsangeboten nach wie vor für die Völkerverständigung ein. Seit über 25 Jahren führt das DAZ die langjährige Tradition des Amerikahauses fort und trägt den Namen von James F. Byrnes, dessen Stuttgarter „Speech of Hope“ von 1946 als Wendepunkt der Nachkriegsgeschichte gesehen wird.
75 JAHRE HOFFNUNG
In diesem Jahr vor 75 Jahren hat James F. Byrnes, ehemaliger Außenminister der Vereinigten Staaten, seine berühmte „Rede der Hoffnung“ im Stuttgarter Staatstheater gehalten. Um genau zu sein, am 6. September 1946. In dieser Rede entwarf er unter anderem erste Ansätze des späteren Marshall-Plans, dem Wirtschaftsförderungsprogramm der USA nach dem zweiten Weltkrieg.
Hier positionierte er sich ganz klar gegen den Morgenthau-Plan des damaligen US-amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau, der vorsah, Deutschland nach dem Sieg der Alliierten in einen Agrarstaat umzuwandeln. Diese Rede der Hoffnung trug maßgeblich zum Beginn der deutsch-amerikanischen Freundschaft und zur Stabilisierung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg bei.
FRIENDS WILL BE FRIENDS
Werte, Interessen und gemeinsame Erfahrungen: Die enge Freundschaft zwischen Deutschland und den USA wird sich mit Joe Biden voraussichtlich wieder erholen. Der Marshall-Plan, der Beistand der USA im Kalten Krieg und bei der Wiedervereinigung boten Hilfen, Impulse und Möglichkeiten für unsere freiheitliche Demokratie.
Und auch heute ist diese Beziehung wichtiger denn je: Eine enge transatlantische Abstimmung ist für den Erhalt von Frieden und Sicherheit in Europa und weltweit unabdingbar.
USA IN STUTTGART
Eine weitere ganz klare Verbindung sind die Stützpunkte des US-Militärs: die Patch, Robinson und Kelley Barracks in und um Stuttgart. Rund 25.000 US-amerikanische Soldaten sind in Stuttgart stationiert. Die Patch Barracks unweit des Campus der Universität Stuttgart und der Hochschule der Medien bilden das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa (Eucom). Am Burgholzhof in Stuttgart-Nord befinden sich die Robinson Barracks mit Wohngebäuden der US-Standortverwaltung. Auch die Studios des Radiosenders AFN (American Forces Network) sind hier untergebracht – AFN Stuttgart The Eagle 102,3! Südlich von Stuttgart zwischen Möhringen und Plieningen dienen die Kelley Barracks als Hauptquartier der US-Streitkräfte in Afrika (Africom).
HOLLYWOOD, HOLLYWOOD?
Gut, Hollywood und Stuttgart sind beide hügelig (etwa ähnlich ausgeprägt, klar). Aber was Stuttgart und Hollywood vor allem gemeinsam haben: Verrückte Special Effects, wie die von Pixomondo aus dem Stuttgarter Osten, die uns in Lieblingsserien, Blockbustern und Co. immer wieder vom schwäbischen Erfindergeist überzeugen. Und, dass mit Carl Lämmle ein Schwabe Hollywood erfunden hat, sollte bekannt sein. Hollywood, Schwabenwood!
AMERICAN FOOTBALL
Die Übertragung des Super Bowl, dem spektatulären Finale der National Football League (NFL), ist für viele Deutsche schon zum jährlichen Ritual geworden. Der Hype um American Football ist ungebrochen und mit Jakob Johnson spielte ein echter Stuttgarter in der amerikanischen Profiliga. Der 26-jährige kam 2018 von den Stuttgart Scorpions zu den New England Patriots und spielte dort in der Position des Fullback. Aktuell ist sein Vertrag ausgelaufen, seine Zukunft ist offen…Wir sind gespannt, welche beiden Mannschaften sich im Finale des Super Bowls 2021 am 08. Februar gegenüberstehen werden. P.S.(SSSST!) Wer es nicht verpassen will, sollte in der Nacht von Sonntag auf Montag, vom 7. auf den 8. Februar, ProSieben einschalten!
Die Stuttgart Scorpions spielen seit 1994 in der GFL, der German Football League und hatten ihren größten Erfolg 2007 mit der Vizemeisterschaft. Die Scorpions-Jugend gehört daher seit langem zu den erfolgreichsten deutschen Jugendmannschaften und ist fünffacher deutscher Jugend-Vizemeister. Und auch die Ladies der Stuttgart Scorpions Sisters halten die Stuttgarter Fahne hoch – Girl Power!
STUTTGART, IS THAT YOU?
Das könnte man zumindest fast meinen, wenn man die Gemeinsamkeiten der Partnerstädte St. Louis und Stuttgart aufzählt. Zwischen den beiden liegen zwar etwa 7.500 Kilometer Luftlinie, und unser Neckar ist dem Mississippi River wohl nicht ganz gewachsen, aber: Der Weinbau als gemeinsames Kulturgut, die prägende Automobilbranche, Friedrich Schiller als deutscher Dichter, der mit Statuen in beiden Städten geehrt wird, die Nähe zu vielen Hochschulen und die Wirtschaftskraft – wir erkennen da eindeutige Parallelen. Stuttgart und St. Louis blicken nun auf 60 Jahre Partnerschaft zurück. Fernbeziehungen können scheinbar doch funktionieren.
BLACK LIVES MATTER
Der unerträgliche Tod von George Floyd bewegte die Welt und die Welt wurde zur Bewegung. US-Amerikaner gingen auf die Straße, wir gingen auf die Straße. Das Ziel der Proteste und Demos: Haltung zeigen gegen Rassismus, Solidarität zeigen und Zusammenhalt. Und ja, Rassismus hat in jedem Land seine spezifische Geschichte, in jedem Land gibt es Unterschiede. Aber genau darum geht es in diesen Protesten, genau das ist unsere Chance: Wir sind informiert, wir stehen ein für ein Anliegen, das uns alle betrifft, egal wo wir leben, egal wer wir sind. Wir wollen zur Wirklichkeit machen, was bislang nur ein verpasstes Ziel, ein noch nicht eingelöstes Versprechen war: Alle Menschen sind gleich viel wert, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht und unabhängig davon, wen wir lieben.