Graue Wohnblöcke, die alle trostlos und gleich aussehen, kriminelle Banden, die die Straßen regieren, Armut und Arbeitslosigkeit, wohin das Auge reicht – das ist das Bild, das die meisten Stuttgarter vom Hallschlag haben.
„Freiwillig geht doch da nach Sonnenuntergang keiner mehr auf die Straße! Viel zu gefährlich!“, hört man es aus dem Kessel rufen. Dabei gibt es im Hallschlag auch nicht viel mehr Kriminalität, als in anderen Stadtteilen. Doch die Klischees über das Stuttgarter Ghetto Nr. 1 bleiben in den Köpfen bestehen. Der nördliche Teil Bad Cannstatts hat 7000 Bewohner aus über 90 Nationen. Na das klingt doch erst mal nach jeder Menge Remmidemmi auf den Straßen der Siedlung. Doch wer tatsächlich mal Lust bekommt, ein wenig über seinen Tellerrand zu blicken, und einen kleinen Spaziergang durch den Hallschlag wagt, merkt schnell, dass es hier ziemlich ruhig und entspannt zu geht.
Das finden auch die Menschen, die schon lange im Hallschlag leben. Klar, vor etwa zehn Jahren sah die Lage hier noch etwas anders aus, da gab es noch Probleme. Doch mittlerweile nicht mehr. Ja manch einer findet sogar, dass es im Hallschlag schon fast langweilig geworden ist. Nachts fürchtet sich hier keiner und Berührungsängste zwischen den Kulturen gibt es auch nicht. Die Herkunft spielt hier keine Rolle. Im Hallschlag funktionier „Multikulti“ richtig gut. Denn wenn man sich kennt, gibt es keinen Grund sich vor anderen Kulturen zu fürchten. Hier ist keiner nur der Deutsche, der Türke, der Pole oder der Grieche. Im Hallschlag kennt man sich, weswegen die Vorurteile zwischen den Kulturen schnell abgebaut werden.
Die Anwohner lieben ihren Hallschlag, nicht nur wegen des starken Zusammenhalts in der Nachbarschaft, sondern auch weil sich in den letzten Jahren hier einiges geändert hat.
Woher kommt der schlechte Ruf des Hallschlags?
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele Gastarbeiter nach Stuttgart gekommen, die man natürlich alle in kürzester Zeit irgendwo unterbringen musste. Also entschloss sich die Stadt kurzerhand eine komplette Siedlung zu bauen, die auf kleiner Fläche genug Wohnraum für viele Menschen bietet. Die gigantischen Häuserblocks boten den Leuten, die gerade neu in der Stadt angekommen sind, einfache Unterkünfte. Menschen aus den verschiedensten Ländern, mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen, wohnten ganz dicht beieinander. Dazu kam, dass die Menschen im fremden Land mit sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Es ist nur verständlich, dass diese Faktoren großes Konfliktpotenzial in sich tragen.
Als die Stadtbahnverbindung zwischen Innenstadt und Hallschlag in den 60er Jahren eingestellt wurde, verschärfte sich die Situation. Die Menschen fühlten sich vom restlichen Stuttgart abgeschnitten und isoliert. Vor allem in den 80er Jahren war die Kriminalität im Hallschlag sehr hoch. Der Stadtteil wurde zum Problembezirk, der seinen schlechten Ruf bis heute nicht mehr losgeworden ist.
Der Hallschlag im Aufschwung
Dabei hat sich im Hallschlag seit den 60er Jahren einiges getan. Der Stadtteil ist viel lebenswerter geworden. Die Stadt engagiert sich und versucht den Hallschlag mit dem Projekt „soziale Stadt“ besonders zu fördern. So werden die Bauten saniert und aufgewertet und es gibt endlich auch eine Direktverbindung mit der Stadtbahn in die Innenstadt. Vor allem auf das Soziale und das Miteinander wird besonderen Wert gelegt. Beispielsweise gibt es mittlerweile ein Nachbarschaftscafé, ein Mehrgenerationenhaus und viele weiter soziale Anlaufpunkte im Hallschlag.
Auch die Veränderungen im Römerkastell beeinflussen die Entwicklung des Stadtteils maßgeblich. Medien und IT-Unternehmen haben hier ihre neuen Büroräume gefunden und bringen so frischen Wind in das Steingemäuer. Der Hallschlag befindet sich im Aufbruch und das merkt man. Immer mehr junge Menschen ziehen in den Kiez und fühlen sich dort verdammt wohl. Doch natürlich machen die Veränderungen den Menschen, die schon lange im Hallschlag wohnen, auch Sorgen. Durch die sanierten Häuser und die Neubauten sind die Chancen groß, dass auch die Mietpreise schon bald steigen werden. Die Anwohner befürchten, entwurzelt zu werden und ihren Stadtteil nicht mehr wiederzukennen.
Doch im Großen und Ganzen kann man im Hallschlag eine sehr positive Entwicklung erkennen. Höchste Zeit also, dass auch der Rest von Stuttgart die Klischees vom Ghetto vergisst und sich im nördlichen Bad Cannstatt mal etwas genauer umsieht.
Bianca wohnt im Hallschlag und hat uns ein paar Fragen beantwortet.
Seit wann wohnst du im Hallschlag?
Seit Oktober 2015
Wie war deine Meinung zu Beginn?
Ich persönlich lasse mich durch ein „Image“ nicht abschrecken. Mein Wunsch auf der Suche nach einer neuen Wohnung oder einem neuen Viertel: Hauptsache nicht spießig. Da fand ich den Hallschlag genau richtig. Und irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl. Wer den Hallschlag in den letzten Jahren beobachtet hat, hat auch gemerkt, dass sich hier einiges tut.
Wie nimmst du den Wandel persönlich wahr?
Auf den ersten Blick fallen einem direkt die Neubauten und renovierten Häuser auf. Rein optisch eine 180-Grad-Wendung. Auch das Römerkastell als angehendes Stadtteilzentrum mit Einkaufsmöglichkeiten, Kultur und bald auch einer Pizzeria bringt neues Leben in das Viertel. Es ziehen derzeit viele junge Leute aus allen Ecken Deutschlands in den Hallschlag. Insgesamt eine bunte und sehr freundliche Nachbarschaft.
Hast du vielleicht sogar einen “Geheimtipp” aus dem Hallschlag?
Ich gehe mit meinem Hund sehr gerne im Travertinpark spazieren. In dem ehemaligen Steinbruch sind noch die historische Kranbahn, Gleise und selbst eine Weiche erhalten. Von dort aus hat man übrigens auch einen tollen Blick auf Stuttgart.