DIE GLITZERWELT DER SOZIALEN MEDIEN

Egal ob Instagram, Facebook, Snapchat oder TikTok – die Welt der sozialen Medien glitzert, schillert und zeigt Menschen, die sich rund um die Uhr gut ernähren, scheinbar mühelos ihre Kinder erziehen und den Waschbrettbauch über Nacht heranzüchten. Der Reality-Check zeigt, dass viele Dinge, die digital gezeigt werden, kein bisschen mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Vor allem Influencer*innen tragen zu dieser Scheinwelt bei. Das sind laut Gabler Wirtschaftslexikon Personen, die aus eigener Motivation Inhalte in verschiedenen Formaten wie Text, Bild und Audio zu einem bestimmten Thema in hoher Frequenz veröffentlichen und dadurch Austausch auf ihren Kanälen motivieren. Das kann einerseits einen großen Mehrwert haben. Inhalte oder Werbung, wie zum Beispiel für den Wirkstoff Sidenafil, werden auf spannende Art und Weise beleuchtet, Kontakte geknüpft und relevantes Wissen verbreitet. Dann ist da aber auch dieses ganz große ABER.

Von FOMO und Überstimulation

Der Hunger nach Likes, die ständige Angst, etwas zu verpassen (hallo, FOMO) und die ständige Konfrontation mit total uniformen Schönheitsidealen, Shitstorms, übersexualisierten Inhalten und einem nie abreißenden Strom aus Meinungen kann für alle Beteiligten im digitalen Kosmos echt anstrengend sein. Und zwar so sehr, dass die psychische Gesundheit negativ beeinflusst werden kann, bis hin zu Depressionen. Das haben Forscher*innen der Universitäten in Pittsburgh und Arkansas herausgefunden. Auch Wissenschaftler*innen der Ruhr-Universität Bochum kamen im Jahr 2019 zu dem Schluss, dass Social Media depressive Episoden zumindest begünstigt. Die Ursachen dafür sind vor alle der ständige Vergleich mit unerreichbaren und optimierten Vorbildern und die permanente Überstimulation. Hinzu kommt, dass mit Filtern gearbeitet wird, um sich nur von der besten Seite zu zeigen. Kommentare, die nicht gefallen werden gelöscht, um den perfekten Schein zu wahren. 

Doch was macht das mit uns?

Das ständige Swipen und Skippen von kurzen Inhalten verändert langfristig unsere Aufmerksamkeitsspanne. Das ist die Zeit, die unser Gehirn zur Wahrnehmung und Verarbeitung von bestimmten Informationen braucht. Auf Social Media Plattformen müssen die Inhalte in nur wenigen Sekunden vermittelt werden, damit sie das Interesse der potenziellen Konsumenten wecken. Es geht also um permanente Beschallung, Likes und Konsumbotschaften, die mal mehr oder weniger unauffällig verpackt werden. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, in dem man erst mal klarkommen muss bzw. in dem man eigene Strategien entwickeln muss, damit es nicht schädlich wird. Aber klar, es ist einfach so bequem. Eine kurze Atempause, Hirn aus, Berieselung an, einfach Unterhaltung mit nur einem Klick.

Top und Flop: Der Umgang mit Social Media auf sozialen Plattformen

Doch Social Media begünstigt auch den offenen Umgang mit Depressionen, die Frage ist dann nur wie. Vor einer Weile bekam Cathy Hummels heftigen Gegenwind, weil sie über Instagram ein Luxus-Retreat für von Depressionen betroffenen Menschen beworben hat. Sommer, Sonne Strand auf einer griechischen Insel gegen die dunklen Wolken im Kopf? Das brachte der Ex-Spielerfrau nicht nur von ihren über 700.000 Follower*innen jede Menge negative Aufmerksamkeit. Dass sie sie ihre Erkrankung für lukrative Zwecke nutzt, wurde unter anderem auch von der Deutsche Depressionsliga kritisiert.

Denn: Depressionen lassen sich in der Regel nicht durch Sonnenlicht oder einen Urlaub kurieren. Das Krankheitsbild ist höchst individuell und bedarf deshalb einer psychotherapeutischen und/oder medikamentösen Behandlung. Es gibt zwar kein Allgemeinrezept gegen Depressionen – aber Hilfe.

Dabei ist Cathy Hummels nicht die Einzige, die Instagram oder andere Kanäle dazu nutzt, skurrile Methoden gegen Depressionen und andere Krankheiten zu bewerben. Allerdings ist hier die Frage, ob so ein Shitstorm gerechtfertigt ist. Besonders wenn es sich um eine Person handelt, die selbst von Depressionen betroffen ist, auch wenn sie einen fragwürdigen und auch privilegierten Weg gewählt hat, um darauf aufmerksam zu machen. Die Psychotherapeutin Dr. Eva Wlodarek sagte in einem Gespräch mit der “Abendzeitung München” dazu: “Der ständige Zwang, perfekt zu erscheinen, ist psychischer Stress. Außerdem ist eine wirkliche Begegnung mit anderen Menschen kaum möglich, weil ein Star nicht als echte Person wahrgenommen wird, sondern als Objekt der Verehrung oder als Projektionsfläche für Wünsche und Träume seiner Fans. Auf diese Weise ständig “verkannt” zu werden, ist schmerzhaft.” Wenn wir also Feingefühl von Prominenten erwarten, dann sollten wir es ihnen auch zurückgeben.

Andere Prominente wie Nora Tschirner finden einen Weg, konstruktiv mit ihrer mentalen Situation umzugehen. In einem Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” hat sie offen über ihr Erleben der psychischen Krankheit gesprochen: “Ich konnte mich nicht mehr freuen und mir nicht einmal mehr vorstellen, wie es wäre, mich über etwas zu freuen.” Ähnlich haben sich auch die Comedians Kurt Krömer und Thorsten Sträter über ihre eigene depressive Erkrankung in der Öffentlichkeit geäußert. Beide haben Bücher über die dunkle Zeit ihres Lebens geschrieben – aber von Luxus-Retreats war bei ihnen keine Spur. Der einzige Rat, den Tschirner in Bezug auf Depressionen zu geben hatte:

“Lasst euch helfen.”

Und das ist auch das Einzige, das man Betroffenen seriös mit auf den Weg geben kann.

Uns allen ist noch die Folge von ZDF Magazin Royal allgegenwärtig, in der sich Jan Böhmermann die Mindset-Vögel mit ihren dicken Uhren und Karren vorgenommen hat. Sogenannte Business Coaches behaupten, viel Geld verdienen zu können, ohne viel dafür zu tun. Von 3000 bis 5000 Euro in 30 Tagen oder gar 3 Millionen Euro in drei Monaten ist in den Videos die Rede. Dafür seien nur das richtige „Mindset“ und ein Coaching nötig. Beim durchaus teuren Coaching lernen die Leute, ebenfalls Menschen anzuwerben, um wiederum das Coaching zu verkaufen. Ein Schneeballsystem eben.

Dann gibt es noch fast schon illegale Machenschaften, bei denen sogenannte Mindset Coaches Menschen mit dem Versprechen auf ein besseres Leben nach Bali oder Portugal locken. Bald danach sind die meisten zurück in Deutschland und haben viel Geld verloren. Darüber hat ZDF Zoom kürzlich in der Doku „Erleuchtet oder abgezockt? Im Sog der Coaching-Szene“ berichtet.

Mentale Gesundheit

Es geht nicht darum, Vorwürfe zu erheben. Genauso wenig gibt es den einen Plan mit Depressionen umzugehen. Es gibt aber einige Tipps, um einen guten und gesunden Umgang mit sozialen Medien zu schaffen. Ein toller Buchtipp ist „Verbunden“ von Anna Miller – „Wie du in digitalen Zeiten wieder Platz schaffst für Dinge, die wirklich wichtig sind.“

Die Journalistin, Autorin, Mental Health Aktivistin und Gründerin des Digital Balance Lab. Sie bespricht und berät zu Fragen des aktuellen Zeitgeschehens und fasst in Worte, was wir in und außerhalb fühlen, sehen und verändern wollen. Es Anna Miller geht es darum, endlich eine digitale Balance zu finden, deswegen hat sie den Ratgeber für die digitale Ernährungsumstellung mit den neuesten Kenntnissen aus der Positiven Psychologie, Neuropsychologie, Motivations- und Beziehungsforschung geschrieben. Mit ihrem Buch gibt sie uns konkrete Tipps und Übungen an die Hand, damit wir uns unseres eigenen Umgangs und Konsums mit Smartphone und Bildschirm bewusstwerden und gleichzeitig eine neue Vision für ein gutes Leben entwickeln können. Denn was wir uns eigentlich alle wünschen, ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen: Fokus, Energie, Kreativität, Nähe und echte Verbundenheit. Zeit, uns das alles zurückzuholen!

P.S.SSSST! release Stuttgart e.V. bietet in Stuttgart Beratung bei Suchthemen an. In der Medienberatung erscheinen hauptsächlich Jungen/junge Männer, die aufgrund von exzessivem Gaming Hilfe suchen. Von den negativen Erlebnissen mit Social Media erfährt das Team von release eher oberflächlich in Präventionsveranstaltungen mit Schulklassen, aus Fachbeiträgen oder von kooperierenden Einrichtungen (z.B. Mädchen sucht Auswege/Lagaya). Uns allen tut etwas weniger Bildschirmzeit und dafür mehr schöne analoge Momente gut!
Mehr Informationen und Hilfe findet ihr auch hier:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/wo-finde-ich-hilfe/klinikadressen/geo_lat/Stuttgart/geo_lat_range/50
https://www.klinikum-stuttgart.de/kliniken-institute-zentren/klinik-fuer-psychosomatische-medizin-und-psychotherapie/klinische-schwerpunkte/depressive-stoerungen-und-burnout-syndrom