DOMINIK VON “STUTTGART GEGEN RECHTS”

Bundesweit versammeln sich Hunderttausende Menschen, um gegen Rechtsextremismus und die AfD zu demonstrieren. Das Aktionsbündnis „Stuttgart gegen Rechts“ ist einer der Organisatoren solcher Protestaktionen.

Bestehend aus einem breiten Spektrum aus Parteijugenden, Initiativen und Einzelpersonen, stellen sie sich dem Rechtsruck in Stuttgart entgegen und verstehen sich dabei nicht nur als Gruppe, die in Form von (Gegen)Demonstrationen auf der Straße aktiv ist, sondern auch als Plattform für Information und Aufklärung.

Wir haben uns mit Dominik von „Stuttgart gegen Rechts“ getroffen, um über die Entstehung des Aktionsbündnisses, aktuelle Ereignisse, Herausforderungen, aber auch Wege zu sprechen, wie wir alle einen Beitrag gegen rechtsextreme Tendenzen leisten können.
Lieber Dominik, seit 2016 gibt es euer Bündnis „Stuttgart gegen Rechts“. Wie ist das Bündnis entstanden und wofür steht ihr?

2015 war die reaktionäre rechte Gruppierung „Demo für alle“ ziemlich groß und wir haben angefangen, Gegendemos zu organisieren. Im Mai 2016 fand dann der Bundesparteitag der AfD auf dem Messegelände in Stuttgart statt. Wir stellten fest, dass sich die Gesellschaft nach rechts bewegt und haben daher erneut Gegenproteste ins Leben gerufen. Die gute Zusammenarbeit und die Übereinkunft im Sinne davon, wie wir uns rechten Bewegungen stellen wollen, führten dazu, dass wir nicht länger nur themenspezifisch agieren, sondern ein dauerhaftes Bündnis etablieren wollten. „Stuttgart gegen Rechts“ setzt sich gegen die gesellschaftliche Rechtsentwicklung im Allgemeinen und spezifisch gegen rechte Bewegungen wie die AfD ein. Besonders wichtig ist uns dabei, auch die Gründe für Rechtsbewegungen zu erforschen. Dazu gehört für uns oft auch Kritik am Regierungshandeln in Bund und Ländern.

Hast du dich schon immer politisch (gegen rechtsextreme Tendenzen) engagiert?

Ich persönlich bin schon seit meiner Jugend politisch aktiv. Über die Jusos bin ich zur Bündnisarbeit gekommen und nun als Einzelperson weiter bündnisaktiv. 

Aktuell ist die Bereitschaft auf die Straße zu gehen, um zu demonstrieren sehr groß. Erst kürzlich haben sich mehrere Tausend Menschen in der Stuttgarter Innenstadt versammelt, um für Demokratie und Vielfalt und gegen Rechtsextremismus und die AfD zu demonstrieren. Warum gehen gerade jetzt so viele auf die Straße? 

Meiner Einschätzung nach haben die Enthüllungen des Recherchenetzwerks „Correctiv“ einiges bewegt. Darin ging es um ein Treffen in Potsdam im November, auf dem der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, eigenen Angaben zufolge über die Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland gesprochen hatte. An dem Treffen nahmen auch AfD-Abgeordnete und Mitglieder der erzkonservativen WerteUnion teil. Diese Enthüllungen haben bewiesen, dass die AfD keine Partei der Unzufriedenen ist, die gerade „migrationskritisch“ sind. Hier werden ganz explizit menschenfeindliche Pläne für die gar nicht allzu weit entfernte Zukunft geschmiedet. Hinzu kommen die Wahlprognosen, welche eine Regierungsbeteiligung der AfD nicht unwahrscheinlich machen. Ereignisse wie diese haben ins Bewusstsein gerückt, dass wir wirklich handeln müssen.

Die Enthüllungen von „Correctiv“ haben zu einigen der größten Kundgebungen seit Jahrzehnten geführt. Erfahrungsgemäß flachen solche Demonstrationen aber auch schnell wieder ab. Deine Einschätzung: Wie lange werden die Proteste wohl anhalten? 

Eine Prognose abzugeben ist schwer. Wir sind positiv überrascht, wie lange die Bewegung nun schon anhält, gleichzeitig ist uns bewusst, dass die Demonstrationen abflachen werden. Es ist wichtig, eine langfristige Veränderung herbeizuführen und den „gesellschaftlichen Boden“, den wir verloren haben, wieder zurückzuholen – und zwar ohne in die Resignation zu geraten. Wie wir das schaffen, ist noch unklar. Im Bündnis sprechen wir jedoch viel darüber, wie wir das verstetigen können. Fakt ist: Wir sind gegen Rechtsentwicklung, Rassismus und die AfD aufgestanden. Jetzt müssen wir uns bewegen, sonst riskieren wir, dass wir uns einfach wieder hinsetzen – und das darf nicht passieren!

Was für ein Gefühl war es, so viele Menschen demonstrierend auf der Straße zu sehen? 

Ein Moment, der mich besonders berührt hat, war folgender: Ich stand mit einem Freund aus dem Bündnis mitten auf dem Schlossplatz und habe meinen Blick über die Menschenmasse schweifen lassen. Plötzlich sagte mein Freund: „Schau an, es ist doch noch nicht verloren!“. Das hat mich schon berührt. Zusammenfassend würde ich sagen: Ich habe Hoffnung und fühle mich gestärkt.

Stuttgart am 20. Januar 2024, Foto aus dem Kunstmuseum

„Alle zusammen gegen den Faschismus“ wurde in der Stuttgarter Innenstadt gerufen. Wäre es deiner Meinung nach sinnvoll, die Demonstrationen positiver zu framen, indem nicht nur darauf hingewiesen wird, gegen was man ist, sondern auch klar gemacht wird, wofür man einsteht?

Ja, aber das ist viel schwieriger. Erfahrungsgemäß ist es am sinnvollsten, zu benennen, gegen was man steht und in Anlehnung daran einen gemeinsamen Konsens zu finden. Auch bei „Stuttgart gegen Rechts“ gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, was eine gerechtere Gesellschaft bedeutet. Trotz solcher „Meinungsverschiedenheiten“ teilen wir die Haltung, uns gemeinsam gegen rechte Tendenzen stellen. Darauf können wir uns schließlich alle einigen.

Ihr setzt unter anderem auf Aufklärungsarbeit und Informationsveranstaltungen. Kannst du darüber noch etwas erzählen? 

Neben klassischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen haben wir in den vergangenen Jahren auch Informationsveranstaltungen organisiert, die sich mit Fragen wie dem Ursprung des Rechtsrucks, der Stärke rechter Bewegungen und politischen Leerstellen beschäftigt haben. Diese Veranstaltungen dienen der Informations- und Aufklärungsarbeit. Damit wollen wir eine Möglichkeit zur Weiterbildung und Vernetzung, aber auch Diskussionsbeiträge zu Strategien gegen die Rechtsentwicklung bieten. 

Wie kann man sich sozial oder politisch engagieren und sich beispielsweise aktiv bei „Stuttgart gegen Rechts“ beteiligen?

Grundsätzlich ist jedes gesellschaftliche Engagement mit einer „gegen rechts“-Haltung gut. Von daher würde ich Menschen gerne ans Herz legen, zu schauen, worauf sie Lust haben. Ob man nun das Stadtteilfest mit organisiert, dem Elternbeirat der Kita beitritt oder sich in einer Partei engagiert ist zweitrangig. Wichtig ist, in Ehrenämter jeglicher Art zu gehen und die eigene antirassistische Grundhaltung mitzunehmen. Wer Interesse hat, an einer unserer Demos mitzuwirken, kann uns jederzeit anschreiben oder direkt auf der Demo ansprechen. Es muss auch keine langfristige Unterstützung sein, sondern kann auch bedeuten, an diesem Nachmittag Flyer zu verteilen.

Kannst du nachvollziehen, dass sich einige Bürger*innen von den aktuellen Geschehnissen überfordert fühlen? Was würdest du ihnen raten? 

Ja, definitiv. Allerdings lebt unsere Gesellschaft davon, dass sich die Bürger*innen aktiv beteiligen und dazu gehört, sich zu überlegen, was man machen möchte oder kann und dann aktiv zu werden. Wenn man sich bewusst darüber wird, dass es nicht nur langfristige Verpflichtungen, sondern auch kleinteilige Dinge sein können, verliert man meiner Einschätzung nach aber die Hemmung, sich zu beteiligen. 

Hast du noch einen Tipp für uns, wie man sich verhalten kann, wenn rassistische Bemerkungen in der Familie oder im Bekanntenkreis gemacht werden?

Auf persönlicher Ebene ist es wichtig, zwischen zwei Zielen zu unterscheiden: Möchte ich ein Familienmitglied oder eine*n Bekannte*n davon überzeugen, dass das, was er*sie sagt, Unfug ist, oder möchte ich anderen Familienmitgliedern und Bekannten zeigen, dass solche Aussagen nicht unwidersprochen bleiben? Das sind sehr unterschiedliche Ansätze. Es kommt zudem immer auf die Situation und darauf an, wie stark eine Person bereits in ihre Ansichten verstrickt ist. 

Findest du es manchmal ermüdend, dich mit rechtsextremen Aussagen auseinanderzusetzen? 

Das kommt ganz darauf an. Bei engen Familienmitgliedern nicht – insbesondere, wenn das Gespräch konstruktiv ist. Ermüdend ist es, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber nicht empfänglich für das ist, was ich sage. Teil der rechten Diskursstrategie ist es, den Diskurs kaputtzumachen. Es geht nicht darum einen Konsens zu finden, sondern dagegen zu gehen. Damit umzugehen ist sehr anstrengend, weil man nicht gewinnen kann. Nico Semsrott hat mal Éric Cantona sinngemäß zitiert, indem er sagte, dass sich das Diskutieren mit Rassist*innen so anfühlt, als würde man mit einer Taube Schach spielen. Egal wie gut du spielst oder argumentierst, die Taube macht halt einfach das Spiel kaputt. Aber unsere Gesellschaft ist nun mal kein Spiel. 

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https://stuttgart-gegen-rechts.de