WARUM SCHLIESSEN IN STUTTGART GERADE SO VIELE LÄDEN?

Von alteingesessenen Traditionsläden wie Haushaltswarenhersteller WMF, die Yeans Halle, Maute-Benger, das Schuhgeschäft Goertz oder das Möbelgeschäft E + H Meyer – immer mehr Traditionsgeschäfte schließen aktuell oder verlassen Stuttgart. Wie kommt es, dass gerade so viele Geschäfte in Stuttgart dichtmachen?

Überall in Deutschland sterben die Innenstädte. Dabei trifft es nicht nur kleine, unabhängige Geschäfte, sondern auch die Großen: Ketten wie Galeria Kaufhof verschwinden mehr und mehr, und auch internationale Marken wie Yves Rocher, Massimo Dutti oder COS ziehen sich komplett aus Deutschland zurück. Auch vor Stuttgart macht die Flut an Schließungen und Leerständen keinen Halt.

Die Pandemie und ihre Spätfolgen

Der große Einbruch begann mit der Corona-Pandemie. Bis einschließlich 2019 konnten die meisten innerstädtischen Läden noch Umsatzgewinne verzeichnen. Mit den Lockdowns und langanhaltenden Corona-Restriktionen kam der große Einschnitt, von dem sich bis heute zahlreiche Unternehmen nicht mehr erholen konnten. Während der Lockdowns konnte kein Vor-Ort-Umsatz erzielt werden. Das Onlinegeschäft konnte in der Zeit zwar bei den meisten Geschäften einen Zuwachs verzeichnen, doch aus angekündigten zwei Wochen Lockdown wurden nahezu zwei Jahre voller Restriktionen und Einschneidungen für den Einzelhandel wie für viele andere Branchen auch.

Nicht selten musste Eigenkapital genutzt werden, um die Geschäftsverluste aufzuwiegen. So viel, dass bei zahlreichen Unternehmern kein verfügbares Eigenkapital mehr vorhanden ist, um auch im vierten Jahr nach Corona noch weiterhin aus der eigenen Tasche mitwirken zu müssen. Soforthilfen und andere finanzielle Hilfsangebote von Bund und Land haben sich zudem oftmals als keine große Hilfe erwiesen, da Summen zurückzuzahlen sind, die vorher nicht als Leihgabe, sondern als Nothilfe angekündigt worden waren.

Eine Krise jagt die nächste

Und nicht nur die Unternehmer mussten mitunter heftige Einbußen finanzieller Art hinnehmen. Auch die Kundschaft verfügt nach der Pandemie im Durchschnitt bei Weitem nicht mehr über die Kaufkraft, die sie vor der Pandemie noch hatte.

Steigende Energiekosten, Inflation – für viele gibt es keine Chance, das finanzielle Loch, das während der Pandemie entstanden ist, wieder zu flicken. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass gerade Modeläden wie Cos, Hallhuber, Massimo Dutti oder selbst das Traditionshaus Maute-Benger stark betroffen von Schließungen sind. Wenn budgetiert und kalkuliert werden muss, wozu das Geld noch reicht, dürfte Kleidung einen geringeren Stellenwert einnehmen als andere Produkte des alltäglichen Gebrauchs wie zum Beispiel Lebensmittel.

Digital vs. Analog

Natürlich ist aber nicht jede*r Bürger*in von Armut betroffen, und so gibt es sie selbstverständlich immer noch, die Kund*innen, die durch ihren Konsum den Einzelhandel am Leben halten. Allerdings hat sich das Konsumverhalten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr stark verändert. Das Internet ist schon lange kein Neuland mehr. Während in der Prä-Internet-Zeit der Gang in die Fußgängerzone die einzige Möglichkeit war, zu einem Shoppingerlebnis zu kommen, kam ab den 2000ern das Onlineshopping dazu – und ist seitdem auf einem konstanten Aufwärtstrend.

Und auch hier spielt die Pandemie stark mit rein: Wer nahezu zwei Jahre lang kein entspanntes, angenehmes Shopping in der Innenstadt betreiben konnte und zeitweise keine andere Chance als Onlineshopping hatte, der hat sich oftmals nun so sehr daran gewöhnt, dass er gar kein Bedürfnis mehr verspürt, zurück in die Innenstadt zu gehen.

Darüber hinaus existieren seit jeher die berühmten Streitfragen. Gibt es vor Ort überhaupt genug Vielfalt und Auswahlmöglichkeit im Vergleich zum unerschöpflichen Vorrat des Internets? Aber was ist mit dem Anprobieren und dem haptischen Erlebnis des Shoppings, wenn man alles nur auf dem Bildschirm sehen kann? Wie nachhaltig ist es, online zu bestellen? Wie stressfrei hingegen ist das Real Life-Shopping?

Beides hat sicherlich seine ganz eigenen Vor- und Nachteile. Und so gibt es sowohl die Fraktion „Onlineshopping“ als auch die Fraktion „Fußgängerzonenbummeln“. Auch das Betriebswirtschaftliche Institut der Universität Stuttgart hat sich bereits mit der Frage nach digitalem vs. analogem Shopping und der Zukunft der jeweiligen Varianten beschäftigt.

Attraktivität der Innenstadt

Laut Handelsverband BW gibt es drei wesentliche Faktoren, die eine Innenstadt attraktiv machen: Erreichbarkeit, Sauberkeit und Sicherheit. Vor allem Ersteres dürfte in Stuttgart jedoch eine Problemzone darstellen.

Zahlreiche Parkplätze mussten weichen, um moderneren, grüneren Verkehrsalternativen Platz zu schaffen. Allerdings sind diese Alternativen auch nicht immer das Nonplusultra, gerade wenn es um die Attraktivität der Innenstadt geht. Viele Menschen möchten nicht erst eine kleine Odyssee hinlegen, ehe sie mit Öffentlichem Nahverkehr die Innenstadt erreicht haben. Verspätungen und Ausfälle der S-Bahnen sind leider an der Tagesordnung.

Auch wünschen sich viele Menschen individuelle Freiheit und möchten selbst bestimmen, wann und wohin genau sie fahren möchten. Zudem wird das Tragen vieler Einkaufstüten zum Hindernis im öffentlichen Nahverkehr. Und auch auf dem Fahrrad lassen sich einige Einkäufe nicht gut transportieren. Hohe Parkgebühren halten die Fraktion Autofahrer darüber hinaus zusätzlich davon ab, in die Innenstadt zu kommen. Viele Baustellen hindern Autofahrer*innen wie Bahnfahrer*innen gleichermaßen daran, stressfrei in die Innenstadt zu gelangen.

Mietkosten durch die Decke

So viel zu den Kund*innen. Kommen wir zurück zu den Einzelhändler*innen, die vermutlich schon während der Pandemie in erste finanzielle Nöte geraten sind. Nun kommen neben steigenden Kosten im privaten Bereich auch steigende Kosten für die Erhaltung des Geschäfts hinzu. Die Mieten steigen in Stuttgart immer weiter, auch für Gewerbeimmobilien. Im Durchschnitt liegen sie 2-3 mal so hoch wie in anderen baden-württembergischen Städten. Fehlt das Geld, dann wird es auch mit den Mieten schwierig – vor allem in der Stuttgarter Innenstadt. Nach der Corona-Pandemie sind die Mieten für Einzelhandels-Immobilien in Baden-Württemberg eigentlich überall deutlich zurückgegangen, hieß es vom Immobilienverband Süd im Februar. In Stuttgart sind sie allerdings nach wie vor hoch geblieben. So zahlen Ladenmieter*innen laut der Statistik in Stuttgart beispielsweise rund drei Mal so viel wie in Pforzheim oder in Karlsruhe. Die Mieten liegen zwischen 47 und 160 Euro pro Quadratmeter für kleinere Geschäfte. Für größere Läden mit 150 Quadratmetern Fläche ist der Quadratmeter-Preis etwas niedriger – er bewegt sich zwischen 35 und 120 Euro. Bereits leerstehende Ladenflächen wie beispielsweise ehemals Schuhhaus Görtz werden immer häufiger nicht mehr oder zumindest nicht mehr so schnell weitervermietet. Neue Mieter*innen zu den erhöhten Preiskonditionen sind in Anbetracht der schwierigen Lage des Einzelhandels schwer zu finden.

Konkurrenz Einkaufszentrum

In doppelter Hinsicht sind Einkaufszentren die Konkurrenz der Innenstadt. Sowohl für die Kund*in, die mit vielen nahegelegenen Parkplätzen und einer oftmals guten öffentlichen Verkehrsanbindung eine weitestgehend stressfreie Anreise hat und dann wetterunabhängig durch eine Vielzahl an Läden streifen kann. Als auch für die Händler*in, die geringere Miet- und Nebenkosten hat und oftmals auch eine für seinen Laden praktischere Verkaufsfläche nutzen kann.

Mangelhafte Vielfalt?

Auch wird oft ein Mangel an Vielfalt in der Innenstadt angeführt. Viele beklagen die starke Häufung gleichartiger Läden. So fehlt es an individuellen, kleinen Unternehmen ebenso wie an Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Neben Modeläden sind auch viele individuelle Gastronomien verschwunden, die durch eigene Konzepte begeistern konnten. Aber auch Freizeitangebote wie Escape Rooms oder Konzertlocations sind in die Randbezirke verschwunden. Wer nicht extra für einen bestimmten Laden durch die halbe Stadt fahren möchte, greift häufig aufs Internet zurück, das immer da und verfügbar ist. So bieten beispielsweise Online-Casinos in Deutschland oft eine Abwechslung zu lokalen Anbieter*innen.

Gegenmaßnahme City-Initiative

Um dem Innenstadtsterben entgegenzuwirken, wurde schon 2014 die City-Initiative Stuttgart e.V. ins Leben gerufen. Diese ist eine Interessenvertretung der Gewerbebetriebe in der Stuttgarter Innenstadt, die versucht, durch verschiedene Aktionen die Innenstadt attraktiv für Kunden zu machen. Seit 2017 gibt es beispielsweise den City-Gutschein, der in über 50 Geschäften der Stuttgarter Innenstadt eingelöst werden kann.

Ebenso das Netzwerken zwischen den Unternehmer*innen ist ein wichtiger Bestandteil der City-Initiative. So gibt es regelmäßig Veranstaltungen wie Stuttgart Street Art oder Stuttgart leuchtet, um mehr Menschen in die Innenstadt zu locken und diese von der Attraktivität der Stuttgarter City-Unternehmen zu überzeugen.

Erst wenn sich die Leute in der Stuttgarter Innenstadt wohl und sicher fühlen, verweilen sie auch wieder länger und häufiger in ihr.