Was hat Brasilien mit Stuttgart zu tun, wie beeinflusst das urbane Leben unseren Blick auf die Stadt und wo treffen sich in den porösen Ecken dabei Schein und Sein? All das und mehr könnt ihr vom 9. bis 19. September während der transdisziplinären Kunstmesse CURRENT erfahren und entdecken.
Das Festival nutzt dabei die Stadt selbst als Modell zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Die erste Ausgabe ist dem Porösen gewidmet. Zwischen den beiden Polen von vermeintlicher Vollendung und dem für immer Unfertigen wird das Urbane als poröser Resonanzraum begriffen, in dem künstlerische Praktiken das Alltägliche konstruktiv verarbeiten, reflektieren und vermitteln.
Eines der größten Kunstobjekte der Messe ist euch vielleicht schon an einem der Knotenpunkte Stuttgarts – dem Hauptbahnhof – begegnet. Hier ist der rote “Brasilien” Schriftzug über dem Haupteingang nicht zu übersehen.
Die Geschichte dahinter ist genauso spannend, wie wahrscheinlich vielen von uns unbekannt. Brasilien war der Codename für eine militärische Scheinanlage der Stadt Stuttgart in der Nähe von Lauffen am Neckar. Diese Atrappe des Hauptbahnhofs diente während des zweiten Weltkriegs dazu, den britischen Bombern ein Nachtbild von Stuttgart vorzutäuschen. So konnten zwischen 1940 und 1942 zahlreiche Angriffe auf Stuttgart abgewendet werden. Ein Bauwerk aus Holz und Backstein imitierte dabei das Bahnhofsgebäude, Lichtmasten erweckten den Eindruck von beleuchteten Gleisanlagen.
Rund 100 Sprengsätze und 1.500 Splitterbomben trafen so ihr Ziel und verfehlten es doch. Die KünstlerInnengruppe Begleitbüro SOUP zieht hier eine Verbindung zwischen diesem interessanten Stück Stuttgarter Geschichte zu der Modellstadt Brasília, die als moderne Utopie mitten im Urwald realisiert wurde. Eine Stadt, die, vor rund 60 Jahren fertiggestellt, mit revolutionären Ideen und moderner Architektur weltweit Furore machte. Sowohl ihr baulicher Zerfall als auch soziale Spannungen werfen Fragen zu Modell und Wirklichkeit auf. Der Schriftzug auf dem Hauptbahnhof beleuchtet damit die Ambivalenz zwischen Täuschung, utopischen Versprechen und gegenwärtigen wie zukünftigen Wirklichkeiten.
Noch viel mehr interessante Denkanstöße, Interpretationen und Ansichten bieten euch die Beiträge der anderen Künstler:innen der Messe. CURRENT setzt sich aus einer Ausstellung im öffentlichen Raum, dazugehörigen Kooperationen und Veranstaltungen, einem Magazin und einem internationalen Symposium am 16. und 17. September am Kunstverein Wagenhalle zusammen. So könnt ihr beispielsweise bei Nachtspaziergängen Kunst erleben, bei einem generationenübergreifenden Skulptur- und Pyrotechnik-Workshop gemeinschaftlich produzierte Kunstwerke erschaffen oder im Symposium dabei zuhören, wie sich ExperInnen mit Fragen zu einer vielstimmigen und zukunftsweisenden Stadtgestaltung auseinandersetzen.