WANN IST REDEN SILBER UND SCHWEIGEN GOLD?
Man urteilt schnell über Menschen, die sich nicht trauen, ihren Mund aufzumachen. Ist man immer ein schüchterner Feigling, wenn man nichts sagt, oder gibt es auch gute Gründe, seine Meinung nicht kundzutun?
Was man tun kann, um seine Schüchternheit oder seine Ängste zu überwinden – all das erfährst du in diesem Artikel.
Seine Meinung sagen – eine gefährliche Sache?
Vorab habe ich mir die Frage gestellt, warum es überhaupt für viele Menschen ein Problem ist, ihre Meinung zu sagen. Und im Zuge dessen habe ich wieder einmal das Grundgesetz aus meinem Bücherregal herausgekramt und Artikel 5 gelesen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten…“ Nach Würde, körperlicher Unversehrtheit, Gleichheitsgrundsatz und Glaubensfreiheit wird im Grundgesetz schon an fünfter Stelle die Meinungsfreiheit garantiert. Wieso in aller Welt musste das im Grundgesetz verankert werden? Es gibt nur eine logische Antwort: Weil man früher in unseren Gefilden von Seiten des Staates (Kaisers, Königs, Reiches…) bzw. der Kirche würdelos behandelt und gefoltert werden konnte. Man war ungleich geboren (adelig oder bürgerlich), man durfte nicht glauben, was man wollte, und man durfte erst recht nicht sagen, was man meinte oder dachte. Ja, es war sogar lebensgefährlich, seine Meinung oder seine Gedanken zu äußern. Jahrhundertelang war es üblich, die Person, die etwas Unliebsames gesagt oder gedacht hat, gleich von ihrem ganzen Kopf zu trennen, sie zu verbrennen, zu steinigen, zu pfählen, zu rädern oder vierzuteilen.
Und auch heute noch kann man in vielen Ländern dieser Erde für seine Gedanken, Meinungen und Geisteshaltungen sein Leben verlieren: In Russland, China, Nordkorea, Iran und anderen Nationen bekommt man schon beim Verdacht der „falschen Meinung“, wenn man Glück hat, eine staatlich verordnete Gehirnwäsche, und wenn man Pech hat, eine Plutoniumtablette. Im Dritten Reich oder der DDR – und das ist erst 30 Jahre her – gab es ähnliche Spezialbehandlungen für Andersdenkende. Seine Meinung zu sagen, ist also von jeher eine gefährliche Sache. Und es kann auch heute noch eine gefährliche Sache sein – je nachdem, wem man gegenübersitzt und in welcher Beziehung man zu dieser Person steht.
Seine Meinung zu sagen bedeutet, das zu sagen, was man denkt
Worüber möchte ich in diesem Artikel schreiben? Was verstehe ich unter „Seine Meinung sagen“? Ich werde jetzt nicht wie ein Philosophiestudent erklären, was der Unterschied zwischen Meinung, Glauben und Wissen ist. Diese Begriffserörterungen sind sicherlich interessant und wer will, kann das ja nachlesen. Darüber wird schließlich schon seit 2500 Jahren philosophiert. In diesem Artikel mache ich es mir etwas einfacher. „Seine Meinung sagen“ ist für mich ein Synonym für „Sagen, was man denkt!“ „Sagen Sie mir ruhig Ihre Meinung zum neuen Vertriebskonzept!“ – heißt nichts anderes als: „Was denken Sie über das neue Vertriebskonzept!“
In politischen Umfragen wird einem suggeriert, dass „Deine Meinung zählt!“ – das heißt nichts anderes als: „Sage uns, wie du über diesen Sachverhalt oder jenen Politiker denkst!“. Und wenn deine Frau dich fragt: „Was ist denn deine Meinung zu diesen Sofakissen?“, dann will sie höchstwahrscheinlich wissen: „Was denkst du über diese Sofakissen? Gefallen sie dir? Kann ich sie kaufen?“
Wenn die eigene Meinung zu Ausgrenzung führt
Wie oben schon erwähnt, war es offensichtlich über Jahrtausende so gefährlich, seine Meinung – und damit seine Gedanken – zu äußern, dass man vermuten könnte, dass die daraus resultierenden Ängste den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Ich weiß nicht, ob es für eine solche Theorie Beweise gibt und ob jemand diese Hypothese schon einmal untersucht hat. Aber eins kann man sicherlich behaupten: Menschen haben über Generationen in totalitären Systemen so viel hinter vorgehaltener Hand getuschelt, dass sich die Ängste vor Repressalien von den Eltern auf ihre Kinder übertragen haben. Und wer einmal in einem Konzern wie Mercedes Benz, Porsche, Bosch, Facebook (Meta), Google oder Apple gearbeitet hat, weiß, dass man dort für seine Meinung zwar nicht den Kopf verlieren, dafür aber seine Karriere ruinieren kann. Wenn man in einem hierarchischen System die „falsche“ Meinung äußert, oder wenn herauskommt, dass einem die neue Linie des Chefs nicht gefällt, „stirbt“ man dort leicht einen „sozialen Tod“ aus Ausgrenzung, Mobbing, Degradierung, Isolation oder Kündigung.
Auch in vielen Familien, Ehen und anderen Beziehungen kann es gefährlich sein, zu sagen, was man denkt bzw. „meint“. Bei einem dogmatischen Vater darf man beim Abendessen eben nicht seine Meinung sagen, sondern muss brav seiner strengen Doktrin zustimmen, wenn man nicht niedergeschrien oder geschlagen werden will. In toxischen Beziehungen lässt der*die narzisstisch veranlagte Partner*in keine andere Meinung als die eigene gelten. Bei Abweichungen muss man auch dort mit Bedrohungen, Erpressungen, Gewalt und Verlassenwerden rechnen.
Warum Meinungsfreiheit nicht überall erwünscht ist
Warum sind Gedanken bzw. Meinungen gefährlich? Warum wollen autoritäre Staaten, Diktatoren, Narzissten und dogmatische Väter nichts von Meinungsfreiheit wissen? Seine Meinung frei zu äußern, ist gleichbedeutend damit, seine Ideen frei auszusprechen. Aus diesen frei ausgesprochenen Ideen, die nichts anderes als Gedanken sind, werden Taten. Und diese Taten können für den oder die Herrschenden sehr unangenehm sein bzw. werden. Somit gibt es für totalitäre Menschen nichts Gefährlicheres als Gedanken. Denn frei denkende Menschen sind häufig auch handelnde Menschen, die sich wehren und die sich nicht alles gefallen lassen.
Mut und Weisheit helfen dir aus der Klemme
Was kannst du jetzt tun, wenn du in einem schwierigen Umfeld lebst oder arbeitest, in dem du für deine Gedanken (und damit für deine Meinungen) mit Repressalien rechnen musst? Zwei Super-Tugenden helfen dir aus der Klemme:
Mut und Weisheit!
Mutig wäre es, deine Ängste zu überwinden und zu sagen, was du denkst. Und weise wäre es, das Richtige, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort, zur richtigen Person zu sagen. Aber, und das kann nicht stark genug betont werden, es ist eben auch manchmal weise, zu schweigen: Zum richtigen Zeitpunkt den Mund zu halten! Wenn du einen anderen durch deine Worte brüskieren, dich durch deine Worte selbst schädigen oder deine Lieben in Gefahr bringen kannst, ist es ratsam, zu schweigen. Die feine Grenzlinie jedoch zu erkennen, die zwischen Weisheit und Feigheit verläuft, ist eine immerwährende Herausforderung. Aus Feigheit dort zu schweigen, wo Mut angebracht wäre, ist doppelt problematisch: Du änderst nichts an den Missständen und wirst so zu „Mittäter*in“ oder „Opfer”. Die große Frage lautet also: Wann rede und wann schweige ich? Wann offenbare ich mich, und sage, was ich denke, und wann behalte ich meine Gedanken besser für mich?
In kritischen Situationen reden oder schweigen? Antworten gibt es beim Friday Night Coaching.
Über die oben aufgeführten Punkte und andere Fragen kannst du dich gemeinsam mit mir beim nächsten Friday Night Coaching austauschen und sicherlich mit ein paar neue und bereichernde Einsichten mit nach Hause nehmen. Tickets gibt’s online! Fast jede*r hat es schon erlebt, an der falschen Stelle das Falsche gesagt zu haben. Wenn du weißt, worauf du in kritischen Situationen deinen Fokus richten kannst, dann wird es dir vielleicht ein wenig besser gelingen, die richtigen Worte zu finden – oder eben auch einmal zu schweigen.
Euer Dr. Daniel Holzinger