ROLAND MAHR

Ein Blick auf die Kulturvisionen und Zukunft des Renitenztheaters

Seit wenigen Monaten besetzt Roland Mahr das Amt des Intendanten im Renitenztheater Stuttgart. Unter seiner Leitung steht die traditionsreiche Kulturstätte vor einer aufregenden Neuausrichtung. Wir haben uns mit dem Musikwissenschaftler und Kulturmanager getroffen, um mehr über seine berufliche Laufbahn sowie die Zukunft des Renitenztheaters zu erfahren. Von seinen Anfängen als Bühnenmusiker bis hin zu seinem Studium in Wien erzählt Mahr, wie diese Lebensphasen seine Sicht auf die künstlerische Welt geformt haben. In einer Zeit des Wandels spricht er aber auch über Herausforderungen und wie er diesen unter anderem mit mehr Eigenproduktionen gekonnt die Stirn bieten möchte. Mit Stücken wie „Steinsuppe“ hat er den Anfang bereits gemacht und lädt jede*n dazu ein, das Renitenztheater künftig als Ort für alle Generationen zu erfahren. 

Willkommen im Renitenztheater in der Büchsenstr. 26…
Herr Mahr, wie hat Ihre Jugend als Bühnenmusiker Ihre spätere berufliche Laufbahn beeinflusst, insbesondere in Hinblick auf Ihre Tätigkeit als neuer Intendant des Renitenztheaters?

Die Tournee mit professionellen Schauspieler*innen aus Wien durch ein ganzes Bundesland war sehr prägend, eine direkte Erfahrung und sicher eine der Initialzündungen. Das berufliche Verständnis für künstlerische Berufe und die Persönlichkeiten der Schauspieler*innen wurden mit erstmals deutlich. Eine einschneidende Erfahrung.

Welche prägenden Erfahrungen haben Sie während Ihrer Zeit in der Kulturmetropole Wien gemacht, und wie haben Sie Ihre Perspektive auf Kunst und Kultur geprägt?

Wien ist eine besondere Stadt mit hoher Lebensqualität und einer permanenten Nachbarschaft von Tradition und Moderne. Das Wandern zwischen diesen Sphären ist eine der größten Erfahrungen, die Studierende machen können. Es war eine Fülle an Eindrücken – von Theater bis zu Konzert, von Oper bis Museum, von Kabarett bis Kino, von historischer Aufführungspraxis bis Avantgarde. Als junger Mensch ist man geflasht von der Bandbreite dieser wunderbaren Atmosphäre mit vielen Grünflächen, grantigen Oberkellnern und erweiterten Wohnzimmern, den Kaffeehäusern.

Was hat Sie dazu motiviert, nach dem Studium der Musikwissenschaften und Europäischen Ethnologie in Wien Kulturmanagement in Ludwigsburg zu studieren?

Ich habe schon als Jugendlicher gerne organisiert und veranstaltet und wollte mich neben meiner großen Leidenschaft, den Geisteswissenschaften, auch im organisatorischen Segment fortbilden. Da das Institut für Kulturmanagement in Ludwigsburg einen hohen Anteil an Kulturwissenschaften hatte, war dies ein logischer Schritt. Neben den ganzen Verwaltungs- und Management-Fragen konnte ich dort immer wieder in soziologische Vorlesungen abtauchen.

Inwiefern hat Ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Vorstand der Stiftung Hospitalhof und im Forum Hospitalviertel Ihren Blick auf die kulturelle Landschaft und Ihr Engagement für die Gemeinschaft beeinflusst?

Ich halte ehrenamtliches Engagement und Einsatz für die Gemeinschaft für den gesellschaftlichen Kitt, den unser Zusammenleben braucht. Die wunderbare Hilde Domin hat dies sehr schön zusammengefasst: „Nicht im Stich lassen, sich nicht und andere nicht. Das ist die Mindestutopie, ohne die es sich nicht lohnt, Mensch zu sein.“

Was sehen Sie als die größte Herausforderung und die größte Chance für das Renitenztheater in Ihrer Rolle als Intendant?

Wir leben in einem transformativen Zeitalter, in dem die Entwicklungen sehr rasch voranschreiten. Dies bringt einerseits viele Vorteile mit sich, andererseits auch Risiken des Abgehängt-Werdens. Die Transformationsprozesse, Digitalisierung, Klimawandel, der Umgang mit Demokratie, das Schaffen von Generationen-Brücken, all das sind große Herausforderungen für den Kulturbetrieb. Als Chance sehe ich meine feste Überzeugung, dass alles Ausprobieren, alles Wagen – auch jedes Scheitern – sich lohnt. Kunst und Kultur befinden sich – wie das ganze Leben – immer im Prozess. Der Wille und der Mut zur Veränderung, die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen, sind unsere Chancen für die Zukunft.

Inwiefern planen Sie, die künstlerische Ausrichtung des Renitenztheaters zu gestalten und welche neuen Ideen möchten Sie in die kommenden Spielzeiten einbringen?

Es geht mir in der künstlerischen Ausrichtung im ersten Schritt um die Frage, wie wir zusammenleben wollen. Dieser Frage stellen wir uns in verschiedenen neuen Formaten oder Produktionen. Von den ganz kleinen Mitbürger*innen bis hin zu den fortgeschrittenen Semestern. Für alles soll etwas dabei sein. Alle Gruppen sollen sich begegnen und eine gute, inspirierende Zeit im Renitenz verbringen.

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Kabarettbühnen wie das Renitenztheater im deutschsprachigen Raum, insbesondere in Bezug auf gesellschaftliche und politische Diskussionen?

Kabarett, Satire oder wie auch immer wir die einzelnen Richtungen bezeichnen wollen, sollte immer Ort der Diskussion, der Begegnung sein. Es wird immer wichtiger im Gespräch zu bleiben. Wenn wir aufhören, miteinander zu reden und es nur mehr Diffamierungen in verschiedene Richtungen gibt, dann wird dies auch für den Kulturbetrieb schwierig. Es ist mir ein Anliegen, dass die Künstler*innen zusammenhalten, denn sie liefern mit ihrer Kreativität den Nährboden für eine inhaltliche Auseinandersetzung. Kabarett kann nicht die Welt verändern, aber einen Beitrag dazu leisten, verschiedene Entwicklungen zu sortieren und unterhaltsam zu erklären.

Welche künstlerischen Schwerpunkte oder Veränderungen planen Sie für die Saison 2023/24, um eine neue Ära für das Renitenztheater einzuleiten?

Es ist mir ein großes Anliegen, den Anteil an Eigenproduktionen zu steigern. Mit unserem Familienstück „Steinsuppe“, das im September Premiere hatte, holen wir Kinder ab vier Jahren ebenso ins Theater, wie deren Großeltern. Ein erster Schritt zur Generationenbrücke. Im November hatte unsere nächste Eigenproduktion „Frauen – Fast eine Liebeserklärung“ Premiere. Aktuell arbeiten wir am an einem neuen Ensemble-Stück mit dem Titel „DEGERLOCH DREAMS – Wer bleibt, kommt besser weg“, das Ende April Premiere haben wird. Im Februar startet die neue Rateshow „Wer ist der Profi?“ mit TOPAS. Das Entwickeln, Produzieren und all die kreativen Prozesse machen große Freude, und das ganze Team ist an allem beteiligt. Das fordert uns heraus, das treibt uns aber auch immens an.

Wie möchten Sie die Tradition des Renitenztheaters bewahren und gleichzeitig innovative Elemente einführen, um das Theater in die Zukunft zu führen?

Ich bin kein Nostalgiker, insofern ist es mit dem Bewahren von Traditionen so eine Sache. Ich finde es spannend und herausfordernd, gelernte Strukturen und Erfahrungen weiterzuentwickeln und aus sinnvollen Traditionen eventuell Inhalte zu schöpfen. Unsere neue Reihe „Sternstunden des Kabaretts“ soll historische Texte von Kabarettautor*innen auf deren Aktualität hin untersuchen und mögliche Analogien ins Heute musikalisch ausdrücken.

Welche Botschaft möchten Sie an das Publikum und die Künstler des Renitenztheaters senden?

Seid mutig und habt keine Angst! Dies sagt schließlich auch der Wolf in unserer Familien-Produktion „Steinsuppe“.

MEHR INFOS:
https://renitenztheater.de